Aufarbeitung der Verfolgung homosexueller Männer in Osnabrück zwischen 1949 und 1994

Antrag Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (TOP 5.4)

30.08.16 –

Beschluss:

Der Rat beauftragt die Verwaltung,

  • die (Straf-)Verfolgung homosexueller Männer in Osnabrück zwischen 1949 und 1994 aufzuarbeiten. Hierzu soll in Abstimmung mit der Universität Osnabrück eine Studie (z.B. Masterarbeit) initiiert werden, die die zwischen 1949 und 1969 bzw. nach den Gesetzesnovellen von 1969 und 1973 bis zur völligen Abschaffung im Jahr 1994 aufgrund des §175 Strafgesetzbuch (StGB) erfolgte (Straf-)Verfolgung homosexueller Männer in Osnabrück untersucht.
  • die (strafrechtliche) Verfolgung homosexueller Männer sowie die Ausgrenzung lesbischer Frauen in der NS-Zeit und in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik im Rahmen der Erinnerungskultur und der Darstellung unserer Stadtgeschichte zu berücksichtigen.
  • die Träger der Heime dafür zu sensibilisieren, dass die damals verfolgte und ausgegrenzte Generation Homosexueller frei von Diskriminierung leben kann und ihre besondere Geschichte Berücksichtigung und Verständnis findet.

Sachverhalt:

In den Jahren 1949 bis 1969 wurden in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des § 175 StGB (in der von den Nazis verschärften Fassung) ca. 50.000 schwule Männer aufgrund einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt. Gültigkeit behielt dieser Paragraph in entschärfter Fassung noch bis 1994. In der Zeit zwischen 1969 und 1994 wurden weitere 3.500 Männer verurteilt. Eine massenhafte Menschenrechtsverletzung trotz Artikel 1, 2 und 3 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde, Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Gleichheitsgebot). Entsprechende Urteile gab es in den genannten 45 Jahren auch in Osnabrück.

Für die meisten der damals verurteilten Männer hat sich die Verurteilung nachhaltig negativ auf ihren gesamten Lebensweg ausgewirkt. Inzwischen plant der Bundesjustizminister die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer, da der §175 StGB von Anfang an verfassungswidrig war (http://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/712091/verurteilte-homosexuelle-sollen-entschadigt-werden v. 11.5.2016).

Die Androhung von Haftstrafen durch den §175 StGB hat sich aber auch auf die Männer ausgewirkt, die nicht angezeigt und verurteilt wurden. Die Geheimhaltung der Lebensverhältnisse, (Schein-)Ehen mit Frauen, Erpressungen und ungezählte Selbsttötungen von schwulen Männern waren in dieser Zeit Alltag.

Wir halten die Aufarbeitung dieses Unrechts auch auf lokaler Ebene für dringend geboten. Hierzu ist eine Studie zu initiieren, die sich insbesondere folgenden Fragen widmen sollte:

•       Wie viele Männer wurden in Osnabrück zu welchen Haftstrafen verurteilt?

•       Mit welchem Eifer haben Staatsanwaltschaft und Polizei in Osnabrück die Verfolgung betrieben?

•       Gab es eine systematische Suche nach Homosexuellen, z.B. sogenannte „Rosa Listen“?

•       Welche Konsequenzen hatte die Verfolgung im Osnabrücker Alltag?

•       Welche Rückzugsmöglichkeiten gab es für schwule Männer in Osnabrück?

•       Gibt es Zahlen über Suizide in Osnabrück, die im Zusammenhang mit Verurteilungen bzw. drohender Verhaftungen aufgrund des §175 zu sehen sind?

•       Welche gesellschaftlichen Gruppen haben sich in Osnabrück besonders für die Aufrechterhaltung der Verfolgung Homosexueller eingesetzt?

•       Welche gesellschaftlichen Gruppen haben sich in Osnabrück für die Rechte Homosexueller eingesetzt?

Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn zu einem späteren Zeitpunkt auch die Situation der Homosexuellen in der NS-Zeit untersucht würde. Dies benötigt aber sicherlich größere Anstrengungen, da die sogenannte „Homosexuellenkartei“ der Osnabrücker Gestapo als verschollen gilt. Wir möchten uns daher zunächst auf die Zeit der Bundesrepublik beschränken, für die genügend Akten zur Verfügung stehen sollten.

Im Rahmen der Osnabrücker Erinnerungskultur sollte die Verfolgungsgeschichte der Homosexuellen einen festen Platz haben - ist sie doch ein eindrückliches Bespiel dafür, dass es auch in demokratischen Gemeinwesen zu systematischen Menschenrechtsverletzungen kommen kann.

Die heute über 60-jährigen schwulen Männer haben einen großen Teil ihres Lebens mit der Bedrohung durch den §175 StGB verbracht und dadurch gelernt, ihre Homosexualität vor ihren Mitmenschen zu verbergen. Angst und Scham sind bei diesen Menschen Teil ihrer Biographie. Dies gilt übrigens auch für lesbische Frauen dieser Generation, die zwar nicht von strafrechtlicher Verfolgung bedroht waren, aber gesellschaftliche Ausgrenzung erlebt haben. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die lesbischen und schwulen Senior/-innen nun einen Lebensabend ohne Diskriminierung verbringen können und dass ihrer besonderen Lebensgeschichte Rechnung getragen wird.

Beratungsergebnis:

Der Beschluss wird einstimmig angenommen.

 

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Antrag | Queerpolitik

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