70 Jahre Grundgesetz in Osnabrück - Aktuelle Stunde im Rat (30.04.2019) - Rede des Fraktionsvorsitzenden Volker Bajus

30.04.19 –

Ein Jubiläum ist immer ein guter Grund zu feiern. Kurz vor dem 70. Jahrestag steht es dem Stadtrat gut zu Gesicht, das zu tun. Wenn man sich heute hier umschaut: Kundgebung für Geflüchtete, Schul-Demo, Einsatz für Gedenkkultur, auf der Tagesordnung einige Wahlen und ohne Ende Sachthemen, dann kann man sagen: Ja, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Wahlen, kommunale Selbstverwaltung, die Demokratie in Osnabrück sie ist wahrhaftig quicklebendig und hier zu Hause.

Wir dürfen nicht vergessen, die Demokratie wurde uns geschenkt. Es waren die Alliierten, die Deutschland vom Faschismus befreit haben. Die Generation unserer Ur-, unserer Groß- und unserer Eltern, musste sich an Demokratie und Freiheit erstmal „gewöhnen“.

Von Churchill stammt der Ausspruch: „Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen“. Neben der Churchill-typischen, lakonischen Bräsigkeit, mit der er Demokratieskeptiker durch den Kakao zieht, steckt in diesem Satz auch der Appell, dass Demokratie sich stets neu beweisen muss.

Es ist einfach, Demokratie schlecht zu reden. Das sehen wir an den Erfolgen der Rechtspopulisten in Europa. Mit Hetze und Fake-News wird mobilisiert. Menschenrechte und Pressefreiheit sind in Ungarn und Polen inzwischen akut gefährdet. Der Vizekanzler Österreichs hat seine Wurzeln in der Neonaziszene. Solche Leute sitzen heute auch im Deutschen Bundestag. Zum Glück sind wir in Osnabrück bislang von der AfD verschont geblieben.

Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben viele Lehren aus der unsäglichen deutschen Geschichte gezogen. Die Unterordnung des Staates unter die Menschenwürde, die Stärkung der Grundrechte und auch als Konsequenz aus der unheiligen Allianz von Teilen der Großindustrie und der Wirtschaft mit der NSDAP, die besondere Betonung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums.

Am stärksten gerät Demokratie dort unter Druck, wo die Bürger ihr Land, ihren Staat nicht mehr als gerecht empfinden. Wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet statt schließt. Wenn Vollzeitarbeitnehmer von Ihrem Lohn nicht leben können. Wenn die Zahl der Langzeitarbeitslosen trotz Konjunktur nicht sinkt. Wenn Kinder aus Armutsfamilien erheblich schlechtere Schulchancen haben, dann ist das nicht nur eine sozialpolitische Herausforderung. Wenn die Menschen das Gefühl haben, die demokratisch gewählte Politik löst ihre Probleme nicht, dann untergräbt das die Demokratie.

Das erleben wir in Osnabrück gerade beim Thema Wohnen. Wohnen ist ein Menschenrecht. Wohnungsnot ein eklatanter Angriff auf die Menschenwürde. Die Niedersächsische Verfassung fordert ausdrücklich, dass der Staat darauf hinwirkt, die Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum zu versorgen. Wenn aber Normal- und Wenigverdiener, Familien mit vielen Kindern, Alleinerziehende, Frauenhausbewohnerinnnen - wenn unsere Bürger auf dem Markt nichts mehr finden.

Wenn über 40 Prozent in unserer Stadt inzwischen über der sogenannten „zumutbaren“ Mietbelastungsquote liegen. Wenn ich Modernisierungs- und Nebenkostentricks a la Vonovia sehe, oder die Vertreibung langjähriger Mieter durch Spekulanten, wie aktuelle Beispiele in der Wüste zeigen. Dann ist die Würde des Menschen in unserer Stadt in Gefahr und damit auch die Legitimation von Demokratie.

Daher müssen wir alles, was hilfreich ist, tun, um das zu lösen. Leider sieht die Ratsmehrheit das bekanntlich anders. Deswegen gibt es ein Bürgerbündnis für bezahlbaren Wohnraum und den Bürgerentscheid für eine kommunale Wohnungsgesellschaft. Diese Bürger nehmen ihre Rechte aktiv wahr. Auch das ist lebendige Demokratie, wenn die politischen Gremien versagen, werden andere demokratische Wege begangen.

Und nichts Anderes tun die Kinder und Jugendlichen bei Fridays for Future. Sie nehmen ihre demokratischen Rechte wahr. Weil wir auch beim Klimaschutz erhebliches Politikversagen erleben - ja, leider auch in Osnabrück. Die Zukunft dieser Generation ist ja tatsächlich von Klimakrisen bedroht. Dagegen wehren sie sich. Mit demokratischen Mitteln. Schulstreik, das ist natürlich eine Regelübertretung, aber es ist auch eine demokratische Manifestation. Ein Signal an alle, sich für Zukunft und Klimaschutz einzusetzen, auch wenn es weh tut.

Beide Bewegungen, die für bezahlbaren Wohnraum und die für zielorientierte Klimapolitik, tragen wesentlich dazu bei, Demokratie neu zu begründen in dem sich unsere Bürger ihrer Grundrechte bewusst werden und diese aktiv nutzen

Wir sind daher allen dankbar, die sich für die Grundrechte, die Demokratie und damit für unsere Stadt einsetzen.

Wir haben nicht nur die Erde, sondern auch die Demokratie nur von unseren Kindern geliehen. Also, machen wir sie fit für die Zukunft, machen wir sie enkeltauglich. Sorgen wir für soziale Gerechtigkeit und eine klimagerechte Gesellschaft. Nur so werden wir erfolgreich unsere Demokratie, unser Grundgesetz verteidigen.

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