Drei Jahre Dürre in Folge: Wie ist der Zustand unserer Bäume?

1. Wie ist der Zustand von Bäumen und Grünstrukturen in der Stadt? 2. Welche zusätzlichen Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten sieht die Verwaltung?

22.09.20 –

Anfrage im Stadtrat am 22.09.2020

Sachverhalt:

Zur Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nimmt die Verwaltung wie folgt Stellung:

1. Wie ist der Zustand von Bäumen und Grünstrukturen in der Stadt?

2. Welche zusätzlichen Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten sieht die Verwaltung?

Die zwei Fragen werden zusammengefasst beantwortet.

Sachstandsbericht zum Zustand des städtischen Baumbestandes infolge der Dürrejahre 2018/19/20

Der städtische Baumbestand umfasst insgesamt ca. 60.000 Bäume (ohne Wälder), davon sind 20.000 Straßenbäume, ca. 40.000 Bäume stehen in Grünanlagen und auf Friedhöfen.

Stadtbäume, insbesondere Straßenbäume unterliegen seit Jahrzehnten dem starken Nutzungsdruck im urbanen Raum. Insbesondere sommerliche Hitze- und Trockenperioden oder Stürme stellen eine Gefährdung für Bäume dar. Die Identifizierung von Ursachen der Schäden an Stadtbäumen ist allerdings schwierig: Oft kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob die Baumschädigungen allein auf klimatische Veränderungen zurückzuführen sind, denn auch andere anthropogene Einflüsse wirken sich auf den Zustand der Bäume in Osnabrück aus. Besonders die Straßenbäume sind beispielsweise durch Verletzungen an Stamm- und Wurzel, Streusalzeintrag, Bodenverdichtung und -versiegelung oder eingeengten Wurzelraum in ihrem Anpassungspotenzial deutlich stärker gefordert.

Darüber hinaus gefährden neu eingeführte Krankheiten und Schädlinge, die durch höhere Temperaturen oder ein verändertes Niederschlagsgeschehen in Norddeutschland begünstigt werden, zunehmend mehr Baumarten. Als Beispiele seien hier genannt der Eichenprozessionsspinner, die Kastanienminiermotte, Massaria-Krankheit an Platane, Komplexkrankheit der Kastanie oder das Eschentriebsterben, alles Krankheiten, die vor 2-3 Jahrzehnten in Osnabrück noch keine Rolle spielten, heute aber im Kontext der Klimaveränderung allgegenwärtig sind.

Stadtbäume sind also einer Vielzahl unterschiedlicher Stressoren ausgesetzt, die deren Wuchsleistung beeinträchtigen und zu Stresssymptomen führen können. An Standorten von Stadtbäumen liegen diese Stressfaktoren zumeist in Kombination vor.

 

Witterung und Klima

Die Vegetationsjahre 2017/2018 (Oktober-September) und 2018/2019 sowie mit Einschränkungen auch das Jahr 2020 werden aufgrund des außergewöhnlichen Witterungsverlaufes und der extremen Dürre in Erinnerung bleiben. Betrachtet man das Jahr 2018, so wurden von April bis weit in den September hinein in Niedersachsen überdurchschnittlich hohe Temperaturen und gleichzeitig sehr geringe Niederschlagsmengen gemessen. Mit einer Temperaturabweichung von rund +2 °C im Vergleich zur Klimanormalperiode (1961-1990) war das Vegetationsjahr 2017/2018 eines der wärmsten Jahre seit Messbeginn (1881). Die gemessene Niederschlagssumme entsprach mit 626 mm nur 85 % der langjährig üblichen Niederschlagsmenge. Dabei fielen in den Monaten von Oktober 2017 bis Januar 2018 über die Hälfte der gesamten Niederschlagsmenge des Vegetationsjahres. In der Vegetationsperiode 2018 von Mai bis September wurden im Flächenmittel des Landes Niedersachsen jedoch nicht einmal 50 % der sonst üblichen Niederschlagsmenge erreicht.


Auswirkungen der Trockenheit auf Baumschäden und -vitalität

Die außergewöhnlich langanhaltende Trockenheit ab April 2018 führte zu unterschiedlichen Reaktionen der Baumarten. Stresssymptome wie verfrühte Herbstverfärbung oder vorzeitiger Blattabfall waren für einige Baumarten (Linde, Esche, Buche, Kastanie, Birke) häufiger als in den Vorjahren. Sichtbares Anzeichen für Trockenstress war die insbesondere bei Linde, Buche und Hainbuche bereits im Juli einsetzende Herbstverfärbung und/oder das so genannte Blattrollen, bei dem die Blattspreite an der Blattachse nach oben gebogen ist und einen Verdunstungsschutz darstellt. Besonderes Augenmerk ist auf die Entwicklung der Anzahl absterbender Bäume in Folge des Witterungsverlaufes 2018 und 2019 zu legen. Wie die früheren Trockenjahre zeigen, ist von Spätfolgen auszugehen, die erst im darauffolgendem Folgejahr sichtbar werden. Daher liegen genauere Zahlen über das Schadensausmaß von Trockenheitsschäden erst immer mit einer Verzögerung von mindestens einer Vegetationsperiode vor.

In Folge der Trockenheit in den Jahren 2018-2020 ist beim gesamten städtischen Baumbestand (ohne Wälder) eine Ausfallrate von fast 1.000 Bäumen zu verzeichnen, wobei die Ausfälle bei den Straßenbäumen prozentual höher liegen als bei Bäumen in Grünanlagen. Auch konnte eine signifikante Erhöhung des Totholzanteils in den Kronen von älteren Bäumen, insbesondere von Straßenbäumen festgestellt werden mit teilweise kritischen Auswirkungen auf die Vitalität, das Erscheinungsbild und die erhöhten Anstrengungen zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit der betroffenen Bäume. Es ist zu erwarten, dass die Absterberate und die Vitalitätsverschlechterung des städtischen Baumbestandes wegen der aktuellen Witterung im nächsten Jahr weiter zunehmen wird.

 

Städtische Handlungsstrategien

Wässern

Der OSB beschränkt sich (nicht nur als Folge begrenzter Ressourcen) auf die Wässerung von Jungbäumen bis zum 3 -5 Standjahr sowie von Bäumen an exponierten Standorten (Große Domsfreiheit, Rosenplatz, Große Straße etc.). Eine Ausweitung des Wässerns auf den Altbaumbestand bei insgesamt 60.000 Bäumen ist weder praktisch durchführbar noch aus fachlicher Sicht in allen Fällen zu fordern: 

Jungbäume sind im Gegensatz zu Altbäumen stärker auf Wasserquellen in den oberen Bodenschichten angewiesen. Ihr Wurzelsystem reicht in den ersten Jahren noch nicht bis zu den tieferen feuchten Bodenschichten oder sind in der Breite sehr weit verzweigt. Altbäume hingegen besitzen in der Regel ein tiefreichendes, weiter verzweigtes Wurzelwerk, das längere Trockenheitsphasen überstehen hilft.

Außerdem variiert das Maß des zu erwartenden Trockenheitsstresses infolge von Wassermangel je nach Baumart stark, da sich Anpassungen an Trockenstress von Baumart zu Baumart qualitativ und quantitativ unterscheiden. Vermindertes Wachstum per se ist aber noch keine unmittelbare Bedrohung für den Fortbestand von städtischen Bäumen: Ein Baum, der seine aus der Photosynthese gewonnene Energie in geeignete Maßnahmen zur Anpassung an Trockenheit investiert und dabei noch in der Lage ist, Wachstums- und Entwicklungsprozesse auf einem gewissen Niveau aufrecht zu erhalten, ist nicht unbedingt von Vitalitätsverlust bedroht. Dies gilt unter den Voraussetzungen, dass trotz verringerten Wachstums der Stressfaktor erfolgreich bewältigt werden kann und dass auch für die Reaktion auf eventuell zusätzlich in Erscheinung tretende Stressoren genügend Reserven bereitstehen. Zusammengefasst lassen sich, basierend auf Untersuchungen der Stadt Hamburg, folgende Faktoren benennen, die die Trockenstressbewältigung von Bäumen zusätzlich beeinflussen:

• Bodenbeschaffenheit und Dynamik des Bodenwasserhaushaltes an urbanen Baumstandorten;

• Reaktionsschwellen von Bäumen in Abhängigkeit von Bodenbeschaffenheit und Bodentrockenheit;

• Artspezifische Reaktionsmuster der Spaltöffnungen auf verringerte Wasserverfügbarkeit;

• Artspezifische Allokationsmuster (d.h. die Fähigkeit von Bäumen, die Aufteilung der durch Photosynthese gewonnenen energiereichen Substanzen auf Organe, Gewebe und Prozesse unterschiedlich zu regulieren), hier ist insbesondere die Anpassung des Wurzelwachstums genannt;

• Artspezifische Resilienz nach Trockenstress.

Anmerkung: Ein kürzlich kolportierter „Kronenentlastungsschnitt“ mit dem Ziel, bei Trockenheit den Transpirationsverlust eines Baumes zu verringern und damit Wassermangel entgegenzuwirken, ist daher fachlich falsch und baumphysiologisch kontraproduktiv bis schädlich, auch weil dadurch einem durch Trockenheitsstress vorgeschädigten und geschwächten Baum Schnittwunden zugefügt werden, auf die er zusätzlich reagieren muss und die gleichzeitig Eintrittspforten für Pilze und Bakterien darstellen.

Baumstandortoptimierung

Unabhängig von der Baumart/-sorte gelten angemessene Wuchsbedingungen als Grundvoraussetzung für die Vitalität und damit für die Anpassungsfähigkeit eines Stadtbaumes gegenüber Trockenheit, Sturmereignissen, Krankheiten und Schädlingen. Dies bedeutet als Mindeststandard eine ausreichend große Pflanzgrube sowie einen entsprechenden Wurzelraum (ca. 1,50 m tief und 12 m³). Dazu gehört auch eine ausreichend große Baumscheibe (mind. 6 m²) sowie die Gestaltung von Pflanzgruben, die sich an der DIN-Norm „DIN 18916 – Vegetationstechnik im Landschaftsbau; Pflanze und Pflanzarbeiten“ sowie an den „FLL-Empfehlungen für Baumpflanzungen – Teil 1 und 2“ orientieren. Ebenso tragen Baumsubstrate, die eine gute Luft-, Nährstoff- und Wasserversorgung gewährleisten, zu einer guten Vitalität von Stadtbäumen bei. Die Stadt Osnabrück pflanzt daher bereits seit 1986 alle neuen Straßenbäume nur in entsprechend ausreichend groß bemessene Pflanzgruben, die ein spezielles, eigens von der Stadt entwickeltes verdichtungsstabiles und wasserspeicherndes Pflanzsubstrat enthalten.

Baumartenauswahl

Mit der Frage nach klimaangepassten Baumarten und -sorten haben sich bereits verschiedene Projekte, Verbände und Institute beschäftigt (z.B. das Projekt „Stadt- und Straßenbäume im Klimawandel“ der Stadt Jena, das Projekt „Stadtgrün 2021“ oder das Projekt „Alleen der Zukunft“ des Forschungsverbundes INKA-BB in der Region Berlin-Brandenburg). In dem Projekt „Stadtgrün 2021“ der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau werden derzeit etwa zwanzig ausgewählte Baumarten auf ihre Eignung als „zukunftsträchtige Stadtbäume“ getestet. Die Auswahl der Baumarten erfolgte dabei unter Berücksichtigung der natürlichen Standortansprüche, Trockenstress-, Hitzestress-, Frost- und Spätfrosttoleranz sowie der Anfälligkeit für Schädlinge und Krankheitserreger. Zudem sind städtebauliche Aspekte, z.B. Wuchsform und Erscheinungsbild, berücksichtigt worden. Das Ziel des Jenaer Projekts „Stadt- und Straßenbäume im Klimawandel“ ist es, die künftigen Lebensbedingungen der Jenaer Stadt- und Straßenbäume zu skizzieren und Baumarten zu identifizieren, die mit den zukünftigen Klimabedingungen besser zurechtkommen. Darauf aufbauend wurden Baumartenempfehlungen für Stadt- und Straßenbäume erarbeitet. Daneben gibt es Erkenntnisse der Straßenbaumtests der Gartenamtsleiterkonferenz (GALK), die u.a. Aussagen zu Wuchs und Phänologie von unterschiedlichen Baumarten und -sorten an Straßenstandorten in Regionen mit unterschiedlichen Klimaausprägungen zulassen. Der Bund deutscher Baumschulen hat für Stadtbaumarten eine sogenannte KlimaArtenMatrix (KLAM-Stadt) veröffentlicht, zu verstehen sind darunter Empfehlungen für die Wahl von Gehölzarten im urbanen Raum unter dem Aspekt des Klimawandels.

Die Stadt Osnabrück orientiert sich bei der Baumartenauswahl von Neupflanzungen an den Ergebnissen der genannten Projekte und berücksichtigt bereits seit Jahrzehnten die Empfehlungen der Straßenbaumliste der GALK bzw. beteiligt sich seit den 90er Jahren am Härtetest Straßenbäume der GALK mit dem Ziel, die Resilienz des städtischen Baumbestandes durch entsprechende Baumartenwahl als Antwort auf die extremen Standort- und veränderten Klimabedingungen zu erhöhen. 

Stadtbaumkonzept  

Der Rat der Stadt Osnabrück hat am 17.07.2017 die Umsetzung der Klimaanpassungsstrategie beschlossen und die Verwaltung beauftragt, die darin enthaltenen 14 Schlüsselmaßnahmen weiterzuentwickeln und umzusetzen (vgl. VO/2017/1097).

Einer der Schlüsselmaßnahmen (Nr. 12) ist die Erstellung eines Stadtbaumkonzeptes. Stadtbäume stellen einen wichtigen Faktor für die urbane Klimaanpassung dar. Sie können lufthygienische und thermische Wohlfahrtwirkungen entfalten und positive Effekte für die Abpufferung von Starkregenereignissen haben. Allerdings sind diese Mehrfachwirkungen von der Vitalität der Gehölze abhängig, die wiederum u.a. auch von den kleinklimatischen Gegebenheiten am Standort abhängig ist. Aus diesem Grund ist ein integrales Osnabrücker Stadtbaumkonzept erarbeitet worden. Aus den Grundlagen des Stadtbaumkonzepts heraus werden insbesondere für Neu- und Umplanungen Vorgaben erarbeitet. Diese sollen die möglichst langfristige Erhaltung des einzelnen Baumes und die Dauerhaftigkeit seiner vielfältigen Funktionen sicherstellen. Die Stärkung der Vielfalt des Baumbestandes, die eine ausreichende Variabilität für sich ändernde Umweltbedingungen sicherstellt, ist eine zentrale und wichtige Zielsetzung. Neben der angestrebten Erhöhung des Baumanteiles soll das Konzept Maßnahmen enthalten, die zur Verbesserung der Resistenz des vorhandenen Stadtgrüns gegenüber Extremwettern (Hitze, Trockenheit, Sturm, Starkregen) und klimabedingten Krankheiten beitragen. Mit der standortangepassten Auswahl der Bäume und des Stadtgrüns können mittel- bis langfristig Erhaltungs- bzw. Ersatzpflanzungskosten reduziert werden. Gleichzeitig wirkt sich die Erhöhung des Baumanteils positiv auf das Stadtbild zur Attraktivität Osnabrücks aus. Das Stadtbaumkonzept für Osnabrück als kommunale Leitlinie und Handlungsgrundlage für Fachplanungen wird Ende des Jahres dem Rat zur Beschlussfassung vorgelegt.

Ökologie und Biodiversität

Für die urbane Biodiversität haben Bäume eine herausragende Bedeutung. Entscheidend für die Artenvielfalt in der Stadt ist neben der Anzahl der Bäume die Strukturvielfalt. Aktuell decken in deutschen Städten drei bis vier Baumarten die Hälfte und sechs bis zehn Baumarten vier Fünftel aller Straßenbäume ab. Ein Wert der auch aus Sicht der Risikostreuung nicht optimal ist. Fällt eine Art durch eine Krankheit oder einen Insektenbefall aus, sind die Folgen drastisch. Auch alte Bäume mit viel Totholz sind wichtig für die Biodiversität. Sie sind aber eine besondere Herausforderung für die Baumpflege und nicht an allen Standorten umsetzbar.

 

Baumartenverteilung in Osnabrück (Stand 2006):

Ein weiterer Streitpunkt in der Diskussion um zukünftige Stadtbäume ist die Frage des ökologischen Wertes neueingeführter Arten. Diese bergen immer die Gefahr, sich zu einer invasiven Art zu entwickeln, die andere heimische Arten bedroht. An gebietsfremden Baumarten finden sich deutlich weniger einheimische Tierarten als an einheimischen Bäumen. An einem Ginkgo sind es knapp zehn Arten, während es an einer alten Eiche bis zu 500 sind. Dennoch nutzen Vögel nichteinheimische Baumarten nachgewiesen als Nahrungsquelle.

Welcher Baum wo genau gepflanzt wird, ist eine Entscheidung mit vielen Variablen. Der lange Lebenszyklus eines Baumes und die sich historisch gesehen schnell verändernde Umwelt machen die Auswahl immer schwierigerer. Auch wenn im Einzelfall der heimische Baum vorzuziehen ist, ist eine Erweiterung des Baumartenspektrums unumgänglich. In der Zukunft gilt zudem noch viel mehr als heute: „Die Mischung macht’s“.

Abschließend sind ebenfalls ein gutes Management und eine bedarfsgerechte Pflege des Baumbestandes durch die Kommune notwendig. Dies erfordert gut geschultes Personal und entsprechende finanzielle Mittel.

 

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