Handgiftenrede vom 05.01.2017 von Michael Hagedorn, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Stadt Osnabrück

05.01.17 –

Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, lassen Sie auch mich zwei Anmerkungen zu den Terroranschlägen machen, die uns im letzten Jahr erschüttert haben. Besonders getroffen hat uns das feige und brutale Attentat von Berlin. Betroffen machen uns aber auch die verallgemeinernden fremdenfeindlichen Reaktionen, die der Terroranschlag teilweise hervorgerufen hat. Und, meine Damen und Herren, müssen wir nicht die lt. BKA im Vergleich zu 2014 verfünffachte Zahl von Anschlägen auf Asylantenheime, nämlich 921, davon 857 mit rechtsradikalem Hintergrund, als das bezeichnen, was sie sind: Als rassistisch motivierten Terror?

Islamistische wie auch rechtsradikale Terroristen und ihre ideologischen Hintermänner haben ein gemeinsames Ziel: Hass und Angst zu säen und die Menschen gegeneinander aufzubringen. Das dürfen wir gerade in unserer Friedensstadt, wo wir mit Recht auf das gelungene Miteinander von Religionen und Kulturen stolz sind, nicht zulassen. Ich möchte hier nicht wiederholen, was schon Richtiges zu dem Thema gesagt worden ist, sondern mich stattdessen an einen Appell des Bundespräsidenten halten, unseren gewohnten Alltag weiterzuleben. Deshalb möchte mich schwerpunktmäßig einem Thema widmen, das bei uns wie auch in allen größeren Städte eine zentrale Rolle spielt – wie gestalten wir eine zukunftsfähige Mobilität.

In den vergangenen Jahrzehnten haben alle Städte in Deutschland die autogerechte Stadt geschaffen, die heute vielfach zur Belastung für die Menschen geworden ist. Das Umweltbundesamt hat hierzu festgestellt: „Die Auswirkungen des Straßenverkehrs stellt die Städte vor große Probleme. Sie reichen von einer Verminderung der Lebensqualität bis hin zu Gesundheitsbeeinträchtigungen. War es früher selbstverständlich, sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen, so ist heute für Viele eine Mobilität ohne das eigene Auto nahezu unvorstellbar. Durch diese Entwicklung hat vor allem die Attraktivität der Städte stark gelitten. Die mit dem großzügigen Ausbau der Verkehrswege verbundene Hoffnung, der Autoflut gerecht zu werden, hat sich nicht erfüllt. 

Im Gegenteil: Die verbesserte Straßeninfrastruktur wurde verstärkt dazu genutzt, um immer häufiger immer  entfernere Ziele anzusteuern. Als Folge nimmt die Verkehrsleistung seit Jahren zu, die Zersiedelung der Landschaft setzt sich fort, die Anwohner von Hauptverkehrsstraßen werden immer stärkeren Belastungen durch Lärm und Schadstoffe ausgesetzt, und die Innenstädte veröden“.

Hierzu einige Zahlen: Lt. einer Studie der Max-Planck-Gesellschaft verursacht allein die Schadstoffbelastung durch den Straßenverkehr pro Jahr 7000 Todesfälle. Demnach sterben hierzulande doppelt so viele Personen an den Folgen der Verkehrs-Emissionen wie an Verkehrsunfällen. Und wir überschreiten auch in Osnabrück trotz Umweltzone an mehreren Stellen, wie z.B. dem Neumarkt, die Grenzwerte deutlich, womit wir permanent gegen geltendes Recht verstoßen und die Gesundheit der Bevölkerung gefährden - Folgen eines überbordenden motorisierten Verkehrs auch in Osnabrück. Fachleute sehen als einzige Maßnahme, die Gesundheitsgefährdungen zu mindern und die Gesetze einzuhalten, eine drastische Verkehrsreduzierung.

Aber nicht nur die unmittelbaren Gesundheitsgefährdungen durch den Verkehr sind ein Problem:  Autofahren verursacht in Deutschland lt. einer Studie der Technischen Universität Dresden pro Jahr auch unter Berücksichtigung der Steuereinnahmen 88 Milliarden Euro an externen Kosten, die von der Allgemeinheit getragen werden müssen, nicht eingerechnet die Kosten für die Infrastruktur. Kaiser Wilhelm hat einmal gesagt: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Nun werden wir vermutlich nicht demnächst alle wieder durch die Stadt reiten, aber Fakt ist, dass das Auto als Fortbewegungsmittel in Städten die Grenzen des Verträglichen überschritten hat.

Was also ist zu tun? Die Lösung ist sicher nicht, Geld für unnütze neue Straßen wie die Westumgehung rauszuwerfen, die Natur zerstören und nur neuen Verkehr erzeugen und nichts sind als eine Fortsetzung der gescheiterten Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte. Umweltministerin Barbara Hendricks gibt die Antwort: „Wir brauchen eine Verkehrswende – einen besseren ÖPNV und eine bessere Infrastruktur für Fahrrad und E-Bike. Es geht darum, Autofahrern das Umsteigen auf diese Verkehrsmittel zu erleichtern und schmackhaft zu machen. Viele Alltagsfahren, etwa zur Arbeit oder zum Einkaufen, die bisher mit dem Auto gemacht wurden, können so ersetzt werden“.

Dass wir so nicht weitermachen können, dürfte also jedem verständigen Menschen klar sein, aber auch die Reduzierung der Schadstoffe wäre nur eine Teillösung, da Probleme wie die Verstopfung der Innenstädte, Übernutzung des öffentlichen Raums durch Straßen und Abstellplätze, kurzum, die Frage der Lebensqualität in der Stadt ungelöst blieben. Wäre es nicht toll, einige Flächen in attraktive innerstädtische Wohnareale oder Grünflächen verwandeln zu können, anstatt sie dem rollenden und stehenden Blech vorzubehalten?   Andere Städte, z.B. Groningen, machen uns vor, wie es geht. Während in Osnabrück 42 % der Wege zwischen 1 und 3 km und 62% der Wege zwischen 3 und 5 km mit dem PKW zurückgelegt werden, werden dort bereits 66% sämtlicher Fahrten mit dem Rad erledigt.

Um zu einer signifikanten Erhöhung des Radverkehrs zu kommen, braucht es aber vor allem drei Dinge:   Radfahrer und Fußgänger müssen sich sicher fühlen. In den letzten Jahren sind in Osnabrück 10 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen, davon 5 Radfahrer und vier Fußgänger. Die Sicherheit ist auf ganz vielen Radwegen schon deswegen nicht gegeben, weil sie zu schmal sind. Und die Radwegeverbindungen müssen nahtlos ineinander übergehen und an Hauptstrecken den unterschiedlichen Geschwindigkeiten Rechnung tragen. Radschnellwege, so wie jetzt nach Belm geplant, müssen die Außenbezirke mit der Stadt verbinden. Hierzu bedarf es an vielen Bereichen mindestens doppelt so viel Platz wie heute. Diesen Platz gewinnen wir aber nur durch eine Neuaufteilung der Verkehrsflächen und im Einzelfall auch durch PKW-Durchfahrtsverbote, wie an der Bramscher Straße geplant, da wir die Straßen nun einmal nicht breiter machen können. Deshalb ist es auch keine Autofeindlichkeit, wenn unser Stadtbaurat sagt, wir müssten dem Autoverkehr Räume nehmen, sondern eine sachliche Feststellung.   Und natürlich müssen wir für deutlich mehr Fahrradparkplätze sorgen, auch durch die Umwandlung von PKW- Stellplätzen.

Unser gutes und demnächst elektrifiziertes ÖPNV-Angebot wie auch der schienengebundene Regionalverkehr müssen besser werden, insbesondere ins Umland, z.B. durch die Wiederbelebung der Tecklenburger Nordbahn. Und natürlich müssen Busse Vorfahrt haben. Das Angebot muss mit Möglichkeiten des Park&Ride, des Car-Sharing und von Leihfahrrädern kombiniert werden können. Die Digitalisierung hilft uns hier, Vernetzungsmöglichkeiten transparent zu machen.

Wir brauchen Ehrlichkeit in der Debatte: Wer sagt, er sei ja für eine Stärkung des Umweltverbundes, aber nicht zulasten des Autos, der ist ungefähr so glaubwürdig wie die, die sagen, sie seien ja für die Energiewende, aber nicht zulasten der Braunkohle. Und wer diese Vorstellungen als Ökofaschismus tituliert, wie jüngst im Stadtentwicklungsausschuss geschehen, der offenbart nicht nur seine postfaktischen Persönlichkeitsdefizite, er verabschiedet sich auch als Diskussionspartner.

Es geht nicht um einen Feldzug gegen Autofahrer, es geht um Gesundheitsschutz der Bevölkerung, um die zumindest teilweise Zurückgewinnung städtischer Lebensräume, schlicht um die Qualität und Attraktivität des Lebensraumes Stadt. Ist es nicht ein Gewinn, wenn am Neumarkt künftig keine 20.000 Fahrzeuge täglich mehr rollen und der Durchgangsverkehr die Luft verpestet? Gesamtverkehr und Schadstoffe wurden übrigens durch die Sperrung lt. Zählungen und Messungen in der Innenstadt deutlich reduziert. Gegenteilige Behauptungen werden auch dadurch nicht wahr, dass sie papageienhaft wiederholt werden.   Die Befragungen zum Neumarkt und zur Westumgehung zeigen, dass die OsnabrückerInnen mehrheitlich einer anderen Verkehrpolitik offen gegenüber stehen.

Wenn wir durch verbesserte Alternativangebote den Autoverkehr insgesamt deutlich reduzieren, dann verbleibt, das zeigt die Erfahrung der Vorreiter-Städte, auf den Straßen genug Platz für die, die aus unterschiedlichen Gründen nicht auf das Auto verzichten können. Dies wird die Akzeptanz weiter erhöhen. Viktor Hugo hat einmal gesagt: „Nichts auf der Welt kann eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist“. Das gilt auch für die Verkehrswende in den Städten, das gilt auch für Osnabrück, auch wenn bei einigen die Uhr stehen geblieben ist.  

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Kommunalpolitik | Migration, Integration | Pressemitteilung | Sicherheit | Verkehr

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