Dem Hass in Osnabrück keinen Raum geben! – Rede des Fraktionsvorsitzenden Michael Hagedorn zum Handgiftentag 2018

08.01.18 –

Im Spiegel erschien vor einigen Wochen ein Artikel, der begann mit den Worten: „Der Hass auf Politiker nimmt dramatische Formen an. Morddrohungen sind nicht selten, es entsteht eine Verrohung, die demokratiegefährdend ist. (..) Man muss kein Schwarzmaler sein, um sich in diesen Tagen Sorgen um die Demokratie zu machen (…). In der Weimarer Republik jedenfalls, dem ersten demokratischen Experiment in Deutschland, gehörte ungezügelter Hass auf politisch Andersdenkende ebenso zum Alltag wie die Einschüchterung von Politikern und Morde an Amtsträgern. Was daraus geworden ist, wissen wir alle (...).“

Wer ein wenig recherchiert, dem fällt schnell auf, dass die Bedrohung von Politikern in diesem Land tatsächlich keine Ausnahme mehr und zumindest die Verächtlichmachung und Herabwürdigung von Politikern bzw. öffentlichen Institutionen inzwischen trauriger Alltag geworden ist.

So fand laut einem Bericht der TAZ vom 06.12.2017 beim Verein Niederdorfer Heimattreue, der sich die Begriffe „Heimat, Freiheit, Tradition“ auf die Fahnen geschrieben hat, kürzlich eine Weihnachtsfeier statt. Dort wurde gesungen, gebastelt und geklöppelt, wie es alte erzgebirgische Tradition ist. Und damit das alles auch finanziert werden kann, verkauft der Verein Holzgalgen gegen kleines Geld. Auf dem Balken steht „Volksverräter“ und an den Genickschlaufen hängen kleine Zettel, beschriftet mit „Reserviert für Sigmar ´das Pack' Gabriel“ und „Reserviert für Angela ´Mutti´ Merkel“.

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz findet das zwar nicht komisch. Aber ein strafbares Verhalten kann sie nun auch wieder nicht erkennen. Deshalb hat sie die Ermittlungen gegen den vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Vereinsvorsitzenden Thomas Witte eingestellt. Der Galgen sei eine Wunschäußerung. Keine Beschimpfung oder Verleumdung. Der Verkauf darf also weitergehen. Wer weiß, vielleicht werden demnächst Bombenattrappen oder lustige Taschenguillotinen durch Dresden getragen.

Nun mag man denken, ja, mal wieder in Sachsen, und kopfschüttelnd zur Tagesordnung übergehen. Aber eine weitere Kurzmeldung der dpa, gedruckt in der NOZ vom 19.12.2017 lässt ebenfalls aufhorchen: Mehr als 100 Kommunalpolitiker in NRW sind Anfeindungen und Beleidigungen ausgesetzt, zumeist in den sozialen Medien. Teilweise werden sogar Familienangehörige bedroht. Und wer wissen möchte, wie sich so etwas anfühlt, der kann ja mal unseren Kollegen Volker Bajus fragen, den man gewarnt hat, er möge auf sich und seine Familie aufpassen und er möge in der Hölle verbrennen.

Wer meint, hier in Osnabrück sei bei dem toleranten Klima und dem Miteinander, das die Stadt in vielen Dingen prägt, die Welt noch weitgehend in Ordnung, dem muss man leider sagen:

Auch hier nimmt in einigen Kreisen die Verrohung der Sprache ein Ausmaß an, das ich vor zwei - drei Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte, insbesondere, wenn es sich um die örtliche Verkehrspolitik handelt:

Da wird mal eben wider besseres Wissen der völlig hanebüchene Vorwurf einer Straftat gegenüber dem politischen Gegner erhoben, nämlich der Veruntreuung von Steuergeldern im Zusammenhang mit der Beauftragung eines Rechtsgutachtens zum Neumarkt. Veruntreuung ist ein Delikt, was mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird, und es steht völlig außer Frage, dass die Vergabe von Gutachten natürlich zu den Rechten der Fraktionen gehört. Aber so ein Vorwurf untermauert doch die eigene Position wunderbar, dass der Gegner eben nicht nur eine andere, natürlich falsche Meinung hat, sondern in Wahrheit auch kriminell ist. Man fragt sich hier, was größer ist: Die Frechheit oder die Dummheit mancher Menschen.

Über Beschimpfungen wie „Ökoterroristen“ oder „Grünversiffteflachdenker“ liest man häufig schon hinweg, weil sie schon fast normal geworden sind. Auch die Beschimpfungen und Beleidigungen sowie die Verbreitung schlichter Lügen, die der Stadtbaurat sich teilweise gefallen lassen muss, sind häufig völlig unverschämt und indiskutabel. Da kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass einige die sozialen Netzwerke zu asozialen Hetzwerken umfunktionieren.

Was für die meisten unter uns undenkbar wäre, ist für manche längst nicht mehr tabu und die allgemeine Stimmung auf solchen Accounts führt dann auch zu Ergüssen, wie diesem Facebook-Eintrag einer Person im letzten Jahr, die im Übrigen 2016 auch an vorderer Stelle für den Rat kandidiert hat.

Unter der Überschrift:

Neumarktausblick im Jahre 2020

wird hier zunächst über eine Verödung der Innenstadt und den Niedergang Osnabrücks durch die Verkehrsberuhigung am Neumarkt schwadroniert. Dann heißt es dort wörtlich:

„Wären wir doch zu einer der Demos von BOB auf dem Rathausplatz gegangen, vielleicht hätten wir diese Entwicklung stoppen können. Jetzt ist es leider zu spät.

Heute Morgen habe ich einen Fahrradtransporter mit den Regenbogenkoalitionären von 2017 gesehen. Sie kamen alle von außerhalb und haben gefeiert, dass sie endlich mit dem Fahrrad um den Wall fahren können. (…) Nachdem auch noch der Fahrrad-Orden verliehen werden soll, haben sich die letzten Osnabrücker zusammengerauft und ihnen direkt an Ort und Stelle klargemacht, was sie für ihre Entscheidungen verdient haben. Da ich Selbstjustiz nicht mit ansehen kann, bin ich nach dem Knüpfen der Seile wieder nach Hause gefahren.“

Hier macht jemand auf besondere Art und Weise deutlich, was die von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Ratsmehrheit seiner Meinung nach für die Neumarktentscheidung also verdient hat - nämlich den Strick.

Und niemand widerspricht. Nein, Likes, Smileys. Ist doch lustig. Tage später fehlte dann der Passus mit den Lynchfantasien.

Ich spreche das hier nicht an, weil ich besonders empfindlich bin. Beißende Rhetorik mit Überspitzungen und auch Polemik gehören zur politischen Auseinandersetzung und sind häufig das Salz in der Suppe einer Debatte. Wer das nicht erträgt, gehört nicht in die Politik oder sollte kein öffentliches Amt bekleiden oder anders ausgedrückt:

Wer keine Hitze verträgt, muss die Küche meiden.

Darum geht es aber nicht.

Beleidigungen, Hass und Aggression sind kein Beitrag zur Diskussion – sie dienen der persönlichen Herabwürdigung Andersdenkender und sind damit höchst bedenklich für unsere Demokratie. Hier werden Menschen mit Gewaltfantasien bedacht, die nichts anderes tun, als das umzusetzen, was eine Mehrheit der Bevölkerung von ihnen erwartet und wofür sie gewählt worden sind.

Ich erwarte nicht, dass nach Wahlen nun alle einer Meinung sind, aber Wahlergebnisse und demokratisches Handeln zu respektieren, das kann man schon erwarten. Verächtlichmachung und Verunglimpfung von Personen und Institutionen war und ist der Tenor vornehmlich der Rechts-Populisten, die sich, wie Herr Gauland, „(…) ihr Volk und ihr Land zurückholen (…)“ wollen und dabei vollständig außer Acht lassen, dass ihre demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Vorstellungen von einer übergroßen Mehrheit dieses Landes abgelehnt werden. Noch gilt: Dies ist weder das Land der AFD oder anderer Populisten und schon gar nicht deren Volk. Ich kenne jedenfalls niemanden, der von Herrn Gauland wo auch immer hingeholt werden möchte.

Solcherart Populismus, der Menschen mit anderen Auffassungen als zu bekämpfende Feinde ansieht, müssen wir auf allen Ebenen, auch hier vor Ort, entgegentreten.

Eigentlich können wir stolz auf die Diskussionen und den Umgang der relevanten Parteien in dieser Stadt und insbesondere im Stadtrat miteinander sein. Trotz unterschiedlicher Auffassungen und leidenschaftlichen Streits in verschiedenen Fragen haben wir uns in den letzten Jahren immer wieder als kompromissfähig erwiesen und vor allem die persönliche Achtung voreinander bewahrt - zum Wohle unserer Stadt. Dass es aber auch Themen gibt, bei denen es keine Kompromisse geben kann und hier dann nach leidenschaftlicher Diskussion demokratisch entschieden wird, ist kein Makel, sondern gehört ebenfalls zur Demokratie.

Wer das nicht akzeptieren will, ist demokratieuntauglich. Iich fürchte, unserer Demokratie steht eine harte Bewährungsprobe ins Haus. Lassen Sie uns auch für das Wohl dieser Stadt unsere Streitkultur bewahren. Lassen Sie uns gemeinsam Hass, Lügen und Diffamierungen in der politischen Auseinandersetzung entgegentreten. Sie sind Gift für unsere Demokratie, nicht nur abstrakt, sondern auch in dieser Stadt.

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