BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ratsfraktion Osnabrück

„Staatsanwaltschaft würde Anklage wegen Beihilfe zum Mord in x Fällen erheben“

28.05.20 –

Interview mit Thomas Klein wg. Hans Calmeyer (22.05.2020)

(Die Fragen stellte Sebastian Stricker von der Neuen Osnabrücker Zeitung)

· Würde Hans Calmeyer heute, wenn er noch lebte, wegen seiner Taten als NS-Rassereferent angeklagt? Wenn ja, vor welchem Gericht? Und was genau würde ihm vorgeworfen? Welche Strafe würde ihm drohen?

Die Staatsanwaltschaft würde Anklage wegen Beihilfe zum Mord in x Fällen zum Schwurgericht beim Landgericht Osnabrück erheben. Gegenstand der Anklage wären die von Calmeyer geprüften Fälle, in denen er zu dem Ergebnis gekommen war, dass diese Menschen aus rassischen Gründen der NS-Mordmaschinerie zugeführt werden konnten.

Die angeklagten Taten wären nicht verjährt, da Mord nicht verjährt (§ 78 Abs. 2 StGB). Das Landgericht Osnabrück wäre als Wohnsitzgericht örtlich zuständig. Im Verurteilungsfall würde eine Freiheitsstrafe drohen. · Sie sind von Beruf Strafverteidiger. Angenommen, Calmeyer wäre Ihr Mandant: Wie sähe Ihre Strategie aus, was wären Ihre Argumente, um ihn vor einer (ggf. harten) Verurteilung zu schützen?

Angesichts der offenbar wissenschaftlich sehr gut recherchierten Tätigkeit von Calmeyer wäre die Beweislage wohl erdrückend. Es wurde jeder von ihm bearbeitete Vorgang untersucht. Ob seine Kenntnis vom weiteren Schicksal der "positiv" geprüften Menschen in Frage gestellt werden könnte, glaube ich nicht. Es war ja gerade Grund seines Handelns gewesen, gefälschte Unterlagen zu akzeptieren, um diese Menschen vor der Deportation und dem Gaskammertod zu bewahren. Daher spräche sehr viel dafür, eine sogenannte "Strafmaßverteidigung" zu führen, also die Handlungen einzuräumen und Gründe vorzutragen, die dieses Handeln in einem günstigeren Licht erscheinen lassen, vor allem seine erfolgreichen Bemühungen, einer Vielzahl von Menschen das Leben gerettet zu haben. Es würde auch darum gehen, aus welchen Gründen er diese Tätigkeit ausübte, warum er - solange - blieb. Wie sehr ihm persönlich die Verfolger im Nacken saßen usw.. Aber auch, ob und in welchem Maß er selbst von seiner letztlich todbringenden Tätigkeit psychisch beeinträchtigt war.

· Spielt es aus rechtlicher Sicht eine Rolle, dass die Zahl der Juden, die Calmeyer vor der Deportation gerettet hat, nachweislich um ein Vielfaches größer ist als die Menge derer, denen er nicht half und die also auch seinetwegen von den Nazis ermordet wurden?

Nein, überhaupt nicht. Unsere Rechtsordnung lässt ein solches Aufwiegen aus guten Gründen nicht zu: Art. 1 Abs. 1 GG: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." und Art. 2 Abs. 2 GG: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Das menschliche Leben "ist einer saldierenden Abwägung nicht zugänglich, da es nur individuelle Menschenrechte und kein unterschiedlich wertvolles menschliches Leben gibt." Das gilt auch dann, "wenn durch Tötung eines Menschen mehrere andere gerettet werden. ... Dasselbe gilt von einer qualitativen Abwägung zwischen 'wertvollem' und 'weniger wertvollem" Leben, z.B. junges gegen altes; gesundes gegen schwerkrankes." (Fischer, § 34 StGB, Rn. 14 f, mit vielen Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur).

An dieser Stelle will ich auf die Person Werner Best aufmerksam machen, Reichsbevollmächtigter in Dänemark: Ein verurteilter Nazi-Mörder, dem es aber mehr als 7000 dänische Juden zu verdanken haben, dass sie der Deportation durch eine von den Nazis geduldete Flucht nach Schweden entgehen konnten. Das hatte Best nach dem Krieg vor der Todesstrafe in Dänemark bewahrt. (vgl.: de.wikipedia.org/wiki/Werner_Best_(NSDAP))

· Wissenschaftler, die sich ausführlich mit Calmeyer beschäftigt haben, sind der Auffassung, dass er nur deshalb viele Menschen retten konnte, weil er es in manchen Fällen unterließ. Könnte Calmeyer unter diesen Umständen heute wirklich wie ein „normaler“ Kriegsverbrecher angesehen und als solcher zur Rechenschaft gezogen werden? Gibt es nichts, dass seine Taten etwa von denen eines Demjanjuk oder Gröning im Kern unterscheidet?

Diese Formel, "wer alle retten wollte, rettete keinen", verdeckt den grundlegenden Unterschied zwischen Menschen, die aktiv wurden, um bedrohtes Leben vor den Nazis zu retten und solchen, die aktiver Teil der Mordmaschinerie waren. Während den einen in keiner Weise vorgeworfen werden kann, dass sie nicht noch mehr taten, also weitere Hilfen unterließen, so dass Menschen vernichtet wurden, wird den anderen gerade vorgeworfen, an der Vernichtung teilgenommen zu haben; ein großer Unterschied.

Calmeyer wird nicht als "Kriegsverbrecher" zu bezeichnen sein, aber als eine Person, die ein nicht unwichtiger Teil in der Nazi-Mordmaschinerie darstellte, dessen Unterschrift Leben und Tod bedeutete.

Und natürlich sind jede einzelne Person und ihre Taten individuell zu beurteilen. So war Gröning in Auschwitz u.a. mit einer Pistole bewaffnet an der Rampe eingesetzt, und er war Buchhalter in der "Häftlingsgeldverwaltung". Er hatte "die Aufgabe, das Geld der Deportierten, nach Währungen zu sortieren, zu verbuchen, zu verwalten und nach Berlin zu transportieren. Dort lieferte er es in unregelmäßigen Abständen entweder bei dem "SS-Wirtschaft-Verwaltungshauptamt" ab oder zahlte es unmittelbar auf eine Konto der SS bei der Reichsbank ein." (BGH-Beschluss vom 20.09.2016, Aktenzeichen 3 StR 49/16, Rn. 12) Aber er war in keinem Fall an der Entscheidung über Leben oder Tot beteiligt.

Gröning wurde wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 20.09.2016 enthält viele allgemeine Ausführungen, die - unter Berücksichtung der individuellen Umstände - auch auf einen Fall Calmeyer angewendet werden könnten.

Es gibt also große Unterschiede, aber diese ändern nichts an der Rolle Calmeyers, neben vielen Entlastungen auch Menschen der Deportation zugeführt zu haben.

· Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat Calmeyer als größtem deutschen Judenretter im Zweiten Weltkrieg bereits 1992 zu einem „Gerechten unter den Völkern“ erklärt. Warum tut sich dann ausgerechnet seine Heimatstadt Osnabrück so schwer damit, ein Museum nach ihm zu benennen erst recht, wenn es sich kritisch mit Calmeyer auseinandersetzt?

Die Stadt Osnabrück plant doch ein Museum, das Calmeyer gewidmet ist. Vertreter*innen des wissenschaftlichen Beirat, der die Stadt berät, haben bereits gute Argumente vorgetragen, warum eine Benennung des Hauses nach Calmeyer kritikwürdig sein könnte. Dass der Rat der Friedensstadt Osnabrück diese Argumente ernst nimmt, ist richtig. Wenn diese Erinnerungsstätte den Namen Calmeyers tragen würde, dann wird damit ausschließlich die Seite hervorgehoben, die zur Rettung von Menschen geführt hatte und Calmeyer damit heroisiert. Aber seine andere Seite, nämlich die Mitwirkung an der Shoa, bleibt auf den ersten Blick unbeachtet. Das wäre dann erst Teil der inhaltlichen Ausgestaltung. Ein "Calmeyer-Haus" würden Angehörige der Überlebenden besuchen, aber eben nicht die Angehörigen der Ermordeten, und die sollen ihre Trauer auch dort wiederfinden und erleben, was wir Nachkommenden tun, dass es keine Wiederholung gibt.

· Der Ratsbeschluss für ein Hans-Calmeyer-Haus in Osnabrück fiel Ende 2017 einstimmig, Sie selbst haben als Mitglied der Grünen-Fraktion daran mitgewirkt. Jetzt wachsen bei den Verantwortlichen in der Stadt offenbar Vorbehalte insbesondere gegen die Namensgebung. Hat die Politik damals vorschnell entschieden? Muss sie ihre Entscheidung von damals überdenken oder sogar zurücknehmen?

Nein, denn das ist eine sehr einseitige Auslegung des Ratsbeschlusses.

Der Rat hatte einstimmig am 05.12.2017 - im Rahmen der Haushaltsberatungen! - folgenden Beschluss gefasst:

"Beschluss: In Ergänzung des Beschlusses zur Entwicklung des Museumsquartiers (VO/2017/1598) wird die Verwaltung im Hinblick auf die inhaltliche Konzeption der Villa Schlikker beauftragt: a. ein Konzept für die Villa Schlikker im Sinne eines „Hans-Calmeyer-Hauses" zu entwickeln. Dieses soll im Gesamtkontext der Neukonzeption des Museumsquartiers als Friedensort und dem Leitziel „wo der Frieden Geschichte und Zukunft hat" in besonderer Weise geschehen. b. einen Kosten-/Finanzierungsplan für die inhaltliche Konzeption und Umsetzung eines Konzeptes „Hans-Calmeyer-Haus" zu entwickeln. c.die notwendigen Planungen für die bauliche Entwicklung der Villa Schlikker (bauliche und energetische Sanierung, Barrierefreiheit, Cafébetrieb) weiterzuverfolgen. d. zu prüfen, mit welchen Folgekosten (Personal- und Projektmittel) ein „Hans-Calmeyer-Haus" verbunden ist. e. für die konzeptionelle Beratung einen wissenschaftlichen Beirat einzuberufen. f. für die Einwerbung von Fremdmitteln eine Zusammenstellung der Inhalte und Kosten komprimiert aufzubereiten. Für die Entwicklung der inhaltlichen Konzeption und des Kostenplans werden - über die Mittel für die Konkretisierung der baulichen Anforderungen (30.000 €) hinaus - zusätzlich weitere 20.000 € im Haushalt 2018 bereitgestellt."

Diesem Beschluss war ein Änderungsantrag der CDU-Fraktion vorangegangen, der Villa-Schlikker den Namen "Hans-Calmeyer-Haus" zu geben. Das wurde gerade nicht beschlossen, u.a. weil die Grüne Fraktion gegen eine derartige Heroisierung war. Der einstimmige Kompromiss (noch einmal: im Rahmen der Haushaltsberatungen!) war dann, sich auf einen Arbeitstitel "Hans-Calmeyer-Haus" zu einigen und für die konzeptionelle Beratung einen wissenschaftlichen Beirat einzuberufen. Und dieser Beirat berät uns bei der Konzeptionsentwicklung und gibt Empfehlungen. Und erst wenn dessen Empfehlungen vorliegen, muss es eine politische Entscheidung über das Konzept und dann auch zur Namensfrage in den Ratsgremien geben. Zu diesem Kompromiss stehen wir Grünen, und daher haben wir auch nichts zu korrigieren.

· Würde dies dem gesamten Vorhaben dann eher schaden oder nutzen? Stellt der Name Calmeyer nicht auch eine Marke dar, die Aufmerksamkeit auf das geplante Museum und seinen Bildungsauftrag lenken würde? Müsste bei einer Abkehr vom Begriff Calmeyer-Haus nicht konsequenterweise auch das Stauffenberg-Gymnasium in Osnabrück umbenannt werden?

Ich habe ja deutlich gemacht, warum die Behauptung einer Abkehr überhaupt nicht zutrifft. Calmeyers Wirken ist selbstverständlich herauszuheben. Wie verhält sich ein Mensch unter solchen Verhältnissen? Wie hätten wir uns seinerzeit verhalten? Wo verläuft eine persönliche Grenze, wo eine rechtliche? usw.

Die Person Calmeyer führt zu ganz vielen Fragen und dann auch hoffentlich Antworten, die nach wie vor aktuell sind und der Aufarbeitung der Greueltaten in der Nazi-Zeit dienen, die bekanntlich nicht allein von Hitler und seinem innercircle begangen wurden, sondern ein Massenphänomen waren. Gerade die Widersprüchlichkeit oder Ambivalenz von Calmeyer macht ihn zu einer nahbaren Person; einer Person an der Lernen an und aus der Geschichte möglich ist. Aber er ist kein Held, dem man sich nicht nähern kann. So hatte er sich auch nicht selbst gesehen. Erst wenn ein Hineindenken möglich wird, kann eine individuelle Erkenntnis entstehen, die für aktuelle Konfliktsituationen eine Entscheidung ermöglicht und Handlungsoptionen aufzeigt, mische ich mich ein oder besser nicht, wo mache ich mit, was lasse ich lieber?

Wir sind der Auffassung, dass Konzept und Benennung des Hauses zusammenpassen müssen. Und für uns ist das Konzept deutlich wichtiger. Unser Wunsch ist, dass das Haus und sein Anliegen nicht von einer Namensdebatte überlagert wird.

Der Hinweis auf Stauffenberg und andere Namensgeber (z.B. Ernst Moritz Arndt) ist zutreffend, wenn damit gemeint ist, dass solche Benennungen immer wieder kritisch zu prüfen sind. Das wird eine Entscheidung der Schulen oder Einrichtungen sein und gilt natürlich auch für Straßenbenennungen.

Der Beitrag ist auch im Osnabrücker Geschichtsblog zu finden: hvos.hypotheses.org/5166

 

Interview als pdf-Datei

Link zum NOZ-Beitrag (Interview gekürzt)

 

 

Kategorie

Kultur, Frieden | Pressemitteilung

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