BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ratsfraktion Osnabrück

Scharfer Wind von Backbord

Die Grünen bestätigen Parteichef Cem Özdemir und wählen Simone Peter zur neuen Ko-Bundesvorsitzenden. Auch andere Führungsposten werden neu besetzt. An mehreren Schlüsselpositionen sitzen nun Leute aus einem diskreten Kreis junger Parteilinker. Er nennt sich selbst 'Segel'

21.10.13 –

Berlin - Am Samstagnachmittag steht im Berliner Velodrom eine Gruppe junger oder jüngerer Leute am Rand der Parteitagsbühne. Die meisten sind zwischen Mitte 20 und Mitte 30, es läuft gerade die Wahl des neuen Grünen-Bundesvorstands, die Gruppe applaudiert oder murmelt Kommentare zu Reden und Wahlergebnissen. Von außen betrachtet wirkt das, als schaue sich der Parteinachwuchs mal an, wie das Spiel auf der großen Bühne funktioniert. In Wahrheit ist es genau andersherum: Was gerade auf der Bühne passiert, ist zu einem guten Teil das Werk dieser jungen Leute. Die stehen nämlich nicht zufällig beieinander, sondern bilden eine ziemlich schlagkräftige Truppe innerhalb der Grünen - ohne dass das bislang groß aufgefallen wäre.

In Parteien gibt es stets informelle Untergruppierungen, diskrete Netzwerke oder gar Gruppen, die man eher in der Nähe eines Geheimbunds ansiedeln muss - etwa den legendenumrankten Andenpakt, jene Seilschaft junger Männer in der CDU, aus der mehrere Ministerpräsidenten und ein Bundespräsident hervorgingen, nur eben kein Kanzler. Bei den Grünen ist seit einigen Jahren ein nicht ganz so kleiner, dafür aber ebenso diskreter Kreis junger Parteilinker aktiv und besetzt nun, da die Partei nach ihrer Wahlniederlage den Umbruch vollzogen hat, plötzlich mehrere Spitzenstellen. Beim Grünen-Parteitag am Wochenende waren sie ziemlich erfolgreich. Die Gruppe heißt Segel-Kreis oder, wie die Mitglieder ihn schlicht nennen: 'Segel', ohne Adjektiv. Man sagt: 'Segel trifft sich', oder: 'Ich gehe zum Segel-Treffen.'

Woher der Name kommt? Das kann rätselhafterweise kaum eines der Mitglieder schlüssig erklären. Es habe etwas mit Segel-Metaphern zu tun, die ja in der Politik einigermaßen gebräuchlich seien ('auf zu neuen Ufern' und derlei mehr), diese Version scheint allerdings Konsens zu sein. Überhaupt sind die Mitglieder ziemlich verschwiegen. Der Segel-Kreis? Das sei etwas, das es gar nicht gebe, sagt eines der Mitglieder auf die Frage danach, dreht sich weg und geht weiter. Zitieren lassen will sich sowieso niemand aus der Gruppe. Trotzdem lassen sich die Eckdaten rekonstruieren: Zwischen 30 und 50 Mitglieder kommen zu den Treffen, die zwischen einem und drei Mal im Jahr stattfinden. Im Mailverteiler stehen noch mehr Leute.

Die Mitglieder in Spitzenpositionen? Anton Hofreiter, 43, seit Kurzem Bundestags-Fraktionschef. Michael Kellner, 36, seit dem Wochenende Politischer Bundesgeschäftsführer (in anderen Parteien heißt das Generalsekretär). Gesine Agena, 26, seit dem Wochenende wie Kellner Mitglied im sechsköpfigen Bundesvorstand. Sven Lehmann, 33, Grünen-Landeschef in Nordrhein-Westfalen. Daniel Wesener, 37, Landeschef in Berlin. Dazu kommt eine hübsche Anzahl an Europa-, Bundestags- und Landtagsabgeordneten - nicht zu vergessen die Leute, die abseits der Scheinwerfer in Schlüsselpositionen sitzen, so wie der bisherige Büroleiter von Jürgen Trittin, der nun Büroleiter von Hofreiter ist. Da wirkt es fast amüsant, dass einem diejenigen Mitglieder, die dann doch reden, immer wieder versichern, man dürfe den Einfluss des Kreises nicht überschätzen.

Und Simone Peter, 47, die am Samstag als Nachfolgerin von Claudia Roth zur Vorsitzenden gewählt wurde? Sie gehört dem Kreis zwar nicht an - doch dass der linke Flügel sie zur Kandidatin erkor, geht zu einem guten Teil auch auf das 'Segel'-Konto. Steffi Lemke hingegen, die am Samstag nach elf Jahren als Bundesgeschäftsführerin verabschiedet wurde und sich zwischenzeitlich Hoffnungen auf den Vorsitz gemacht hatte, war chancenlos. Peter hielt am Samstag eine ziemlich leblose Rede und erhielt ein Ergebnis von 75,9 Prozent. Zuvor hatte sich Claudia Roth verabschiedet, mit einem Paket aus Bildershow, Laudationes und Abschiedsrede. Noch weniger Stimmen als Peter erhielt der alte und neue Ko-Parteichef Cem Özdemir, der zwar kämpferischer redete, mit dem aber viele auch im eigenen Realo-Flügel unzufrieden sind. Er kam auf 71,4 Prozent, während Michael Kellner bei der Wahl zum Bundesgeschäftsführer 88,5 Prozent erhielt.

Neben Gesine Agena, die Frauenpolitische Sprecherin wurde, sitzt als weiteres Mitglied nun Bettina Jarasch aus Berlin für die Realos im Bundesvorstand. Schatzmeister bleibt Benedikt Mayer. Mindestens ebenso erstaunlich wie der personelle ist der inhaltliche Einfluss der jungen Linken. Eigentlich hätte nach der Wahl die Stunde der Realos schlagen müssen. Jahrelang hatten die Linken dominiert, sie hatten sich auch jenes Steuerkonzept ausgedacht, das von vielen als wesentlicher Grund für die Niederlage identifiziert wurde. Doch statt dieses Momentum zu nutzen, zerlegten sich die Realos lieber selbst und drangen mit ihrer Argumentation nicht durch: Beim Parteitag lehnten die Delegierten am Samstag klar einen Realo-Antrag ab, in dem es hieß, man habe in der Steuerpolitik 'Fehler' gemacht. Damit ist nun die Linken-Lesart festgeschrieben, dass man das Steuerkonzept nur falsch kommuniziert habe und dass es womöglich etwas zu detailliert war. Als das Ergebnis der Abstimmung verkündet wurde, entfuhr einem der 'Segel'-Leute ein 'Yes!'

Nun geht das alles nun wirklich nicht allein auf das Wirken des Segel-Kreises zurück - aber als ein sehr kleiner Kreis vor mehr als sechs Jahren den Anstoß zur Gründung gab, konnte man von so viel Einfluss nur träumen. Das war am Rande des G-8-Gipfels in Heiligendamm, man traf sich bei den Protesten, dabei waren Sven-Christian Kindler, inzwischen 28 und Bundestagsabgeordneter, sowie Rasmus Andresen, mittlerweile 27 und Mitglied im 16-köpfigen Parteirat, dem erweiterten Spitzengremium der Grünen. Sie teilten mit vielen Jüngeren eine gewisse Frustration über die existierenden Linken-Netzwerke, die entweder zu sehr von den großen Namen der Partei dominiert waren oder in denen ältere Herrschaften in der Kleidung von gestern die Diskussionen von gestern führten. Sie wollten neue Debatten führen, anders diskutieren und natürlich wollten sie auch persönlich weiterkommen.

Beim Parteitag registrierte mancher Realo wohlwollend, dass die jungen Linken, etwa Neu-Geschäftsführer Kellner, nicht mehr mit dem Verbalradikalismus eines Jürgen Trittin daherkämen: Schon der Habitus sei anders. Das mag stimmen, aber es führt auch in die Irre. Was die Positionen angeht, sind die 'Segel'-Leute nicht weniger gefestigt als ihre Vorgänger. Sie verpacken das bloß verträglicher.

Von Christoph Hickmann

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Montag, den 21. Oktober 2013, Seite 5

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