08.09.25 –
Sachverhalt:
Im Zuge der demografischen Entwicklung wird auch die Gruppe der über 65-jährigen mit Migrationsgeschichte weiter wachsen. Ende 2024 waren dies rund 7.100 Osnabrücker:innen. Damit steigt auch der Anteil der Pflegebedürftigen, während die familiäre Pflege künftig immer weniger von Angehörigen übernommen werden kann.
Daraus resultieren wiederum der Bedarf und die Möglichkeit für eine interkulturelle Öffnung der Pflegeversorgung, auch mit dem Ziel, dass alle Menschen im Alter solange wie möglich in ihrem häuslichen Umfeld leben können.
Allerdings zeigen Studien, dass Menschen mit Migrationsgeschichte Pflegeleistungen und Leistungen der Pflegeversicherung deutlich seltener in Anspruch nehmen. Die Gründe sind vielfältig und können von kulturellen Unterschieden, über Sprachbarrieren bis hin zu fehlenden oder falschen Informationen und mangelndes Vertrauen in das Gesundheitssystem reichen.
Dies deckt sich mit den Erfahrungen der Mitarbeitenden des Osnabrücker Pflegestützpunktes, wonach bei Menschen mit Migrationsgeschichte Pflegepersonal und -dienste nur geringfügig nachgefragt werden. Oder wie es die Verwaltung in ihrer Antwort (VO/2023/2343-01) auf eine Anfrage von Grünen/SPD/Volt und der CDU Mitte September 2023 formulierte:
„Es bedarf hier einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit bzw. einer engen Kooperation mit städtischen und externen Akteuren/Multiplikatoren. Eine dauerhafte und bedarfsgerechte Ansprache ist nötig, um ein niedrigschwelliges Angebot bei den Zielgruppen zu etablieren.“
Hier setzt das Modell der „interkulturellen Pflegelots:innen“ an. Ziel ist es, den Zugang zum Gesundheits- und Pflegesystem zu erleichtern, Barrieren abzubauen, Informationen verständlich zu vermitteln, das Vertrauen in die Pflegeangebote zu stärken und damit eine Inanspruchnahme von Leistungen zu fördern. Dafür werden freiwillig Engagierte zu verschiedenen Themen geschult, um dann als muttersprachliche Mittler:innen zwischen Pflegebedürftigen, deren Angehörigen und dem Pflegesystem zu fungieren. Damit alle Menschen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und um frühzeitig steigende Versorgungsbedarfe zu erkennen und vorzubeugen.
Im Rahmen der Gesundheitsregion von Stadt und Landkreis Osnabrück hat es 2018 und 2019 schon einmal ein Projekt „Interkulturelle Pflegelotsen – Barrieren abbauen, Integration fördern“ gegeben. Antragssteller war der gemeinsame Gesundheitsdienst für Landkreis und Stadt Osnabrück. Im März 2020 fand ein Auftakttreffen der ausgebildeten In diesen zwei Jahren wurden etwa 20 interkulturelle Pflegelots:innen ausgebildet. Diese trafen sich im März 2020 zu einem Auftakttreffen, bei dem der Wunsch nach Austausch und weiteren Schulungen geäußert sowie halbjährliche Treffen vereinbart wurden. Die einsetzende Corona-Pandemie hat allen im Zusammenhang mit diesem Projekt stehenden Aktivitäten dann offenbar ein Ende gesetzt.
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Verwaltung:
In ihrer Mitteilungsvorlage vom 16.09.2025 antwortete die Verwaltung wie folgt:
Zu 1.:
Der Pflegestützpunkt erhebt bei Beratungsanfragen keine Informationen zum Herkunftsland bzw. zur Nationalität der Ratsuchenden, so dass keine statistischen Daten herangezogen werden können. Zudem beraten die Pflegekassen ebenfalls in nicht unerheblichem Ausmaß ihre Versicherten mit Migrationshintergrund zu Pflegeleistungen.
Die Mitarbeiterinnen des Pflegestützpunktes nehmen gleichwohl einen Unterschied im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen unterschiedlicher Nationen wahr. Menschen mit russischen, ukrainischen und polnischen Wurzeln wenden sich vergleichsweise häufig an den Pflegestützpunkt, Menschen türkischer, syrischer oder arabischer Herkunft dagegen eher selten. Diese Aussage beruht jedoch nur auf einer „gefühlten Schätzung“.
Aus der einschlägigen Literatur ist bekannt, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der Regel deutlich weniger institutionelle Pflegeberatungen und -leistungen nachfragen. Stattdessen wird die Pflege überwiegend innerfamiliär organisiert, wenn auch die Inanspruchnahme von professioneller Pflege bei Menschen mit Migrationshintergrund zuletzt zugenommen hat.
Zu 2.:
Nach Projektende im Jahr 2019 und unmittelbar vor der Pandemie haben die Pflegestützpunkte der Stadt und des Landkreises Osnabrück den Kontakt zu den ehemaligen Teilnehmenden noch einmal aufgenommen, um eine niedrigschwellige Unterstützungsmöglichkeit für das weitere Engagement zu bieten. Bei einem persönlichen Treffen im März 2020, kurz vor der Pandemie, zeigte sich bei den meisten „Lotsenden“ jedoch eher eine verhaltene Bereitschaft zur Wiederaufnahme des ehrenamtlichen Engagements. Dem Protokoll des Treffens ist z.B. zu entnehmen: „Bisher hat außer einer Teilnehmerin, seit Abschluss des Qualifikationskurses, keiner der Anwesenden Erfahrungen mit der Pflegelotsentätigkeit gemacht.“ Abgesehen davon standen aus dem Teilnehmerkreis für die Stadt Osnabrück lediglich zwei Pflegelotsen für eine mögliche Wiederaufnahme des ehrenamtlichen Engagements zur Verfügung.
Weitere Erfahrungen bzw. Ergebnisse liegen der Verwaltung nicht vor. Planungen für eine Fortsetzung des Modells gibt es aktuell nicht. Seit 2020 haben die Mitarbeiterinnen des Pflegestützpunktes jedoch unterschiedliche Kontakte in der Verwaltung genutzt, um das Beratungsangebot bei Menschen mit Migrationshintergrund bekannter zu machen. So erfolgte z.B. die Vorstellung des Beratungsangebotes im Migrationsbeirat, bei den Familienbegleiterinnen und im Referat Chancengleichheit. Darüber hinaus fand ein fachlicher Austausch mit einer Mitarbeiterin der Caritas aus dem Bereich „Flüchtlingshilfe“ statt. Hieraus ergaben sich vereinzelt Beratungsanfragen.
Zu 3.:
Mit dem Pflegestützpunkt bietet die Stadt ein gutes Beratungsangebot, welches inzwischen auch in einigen Quartieren angeboten wird. Um Menschen mit Migrationshintergrund besser zu erreichen und in das Regelangebot der Beratung zu integrieren, ist eine zielgruppenspezifische Adressierung unter Einbeziehung des Integrationsmanagements bereits erfolgt, beispielweise sind Integrationslotsen und Migrationsbeirat einschließlich einzelner Organisationen von Migrantinnen und Migranten eingebunden. Ziel ist es, Hürden der Inanspruchnahme abzubauen und Sensibilisierungsoptionen zu prüfen. Dabei ist die noch stärkere Beachtung von migrationsbezogenen Fragestellungen in städtische Angebote zur Pflege wünschenswert, um weiter Hürden für migrantische Menschen abzubauen. Eine stärkere Teilhabe bzw. verbesserte Zugänge dieser Zielgruppe im Bereich Pflege in einem nachhaltigen Konzept zu etablieren, ist erstrebenswert. Ein gänzlich auf ehrenamtliches Engagement abgestelltes Modell wird aus Sicht des Integrationsmanagements als hierfür nicht geeignet eingeschätzt. Aufgrund der Erfahrungen der letzten 10 Jahre in der migrationsorientierten Ehrenamtsarbeit und der tendenziell nachlassenden Bereitschaft, siehe auch Antwort zu Frage 2, sowie der Komplexität in der Pflegelandschaft sollte von einem ehrenamtlichen Ansatz Abstand genommen werden. Die im damaligen Modellprojekt des Gesundheitsdienstes vorgesehen Aufgaben und Ausbildungen für Ehrenamtliche waren sehr ambitioniert, nach hiesiger Einschätzung hat die Pandemie das Scheitern des Modellversuchs nicht verursacht, sondern beschleunigt.
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