BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ratsfraktion Osnabrück

Altersermittlung minderjähriger Flüchtlinge

21.07.15 –

Minderjährige, die ohne ihre Eltern vor Kriegshandlungen, körperlicher und sexueller Gewalt oder extremer Armut fliehen mussten, haben einen besonders großen Schutzbedarf aufgrund von Traumatisierung und lebensgefährlicher Flucht. Oft können sie ihr Alter nicht durch Dokumente nachweisen. Dann müssen sie sich einer Alterseinschätzung unterziehen, die in den deutschen Bundesländern und in den Kommunen unterschiedlich gestaltet wird. Die Verfahren reichen von Interviews und psychosozialem Clearing bis hin zu aufwändigen medizinischen Altersgutachten.

Durch diese medizinischen Untersuchungen kann lediglich die biologische Reife (Pubertätsstadien, Knochen- und Zahnalter) eingeschätzt werden, nicht jedoch das chronologische Alter. Dieses wird im Gutachten angegeben als wahrscheinliches Alter als Mindestalter oder als Wahrscheinlichkeit, minderjährig zu sein. Alle diese Angaben sind jedoch mit einer hohen Ungenauigkeit behaftet, die selten offengelegt wird. Somit werden viele Jugendliche für volljährig erklärt, was für ihr weiteres Leben und ihre Zukunft erhebliche Nachteile mit sich bringt.

Wir fragen die Verwaltung:

1. Wie läuft das Verfahren zur Altersfeststellung/Altersfiktivsetzung bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen konkret ab, d.h.:
a. Wer ist für die Feststellung zuständig und auf wessen Veranlassung hin wird es wann eingeleitet?
b. Von wem wird es durchgeführt?
c. Wie lange dauern die Verfahren zur Altersfeststellung/Altersfiktivsetzung durchschnittlich?

Die Anfrage wird wie folgt beantwortet:

Für die Altersfeststellung ist im Fachbereich für Kinder, Jugendliche und Familien, Fachdienst Familie - Sozialer Dienst eine sozialpädagogische Fachkraft zuständig, die seit Jahren den Schwerpunkt „Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge" hat. Aufgrund der steigenden Fallzahl arbeitet diese zurzeit weitere sozialpädagogische Fachkräfte in diese Thematik ein.

Wird ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in der Regel durch die Bundespolizei aufgegriffen, wird dieser an die Inobhutnahme des SKM weiterverwiesen. Die Einschätzung des Alters eines jungen Menschen dient in diesem Zusammenhang der Klärung, ob überhaupt die Voraussetzung für eine Inobhutnahme, nämlich die Minderjährigkeit, vorliegt. Lässt sich eine verlässliche Klärung des Alters nicht sogleich herbeiführen, so hat der Fachbereich für Kinder, Jugendliche und Familien im Zweifel, also dann, wenn das Vorliegen von Minderjährigkeit nicht sicher ausgeschlossen werden, kann eine Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 SGB VIII anzuordnen (siehe VGH vom 23.09.2014).

Eine exakte Bestimmung des Lebensalters ist weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich. Alle Verfahren können allenfalls Näherungswerte liefern. Um diese Annäherung zu gewährleisten, findet unverzüglich ein Gespräch (in der Regel mit einem Dolmetscher) zwischen der Fachkraft und dem Jugendlichen in der Einrichtung statt. Dabei spielen biografische Hintergründe, zum Beispiel Anzahl der Geschwister, schulische/berufliche Entwicklung, Alter der Eltern, Länge der Flucht usw., aber auch die Inaugenscheinnahme des Jugendlichen (keine Ganzkörperkontrolle), die Beobachtungen der Fachkräfte in der Inobhutnahmestelle und eventuell vorhandene Dokumente eine weitere Rolle, um eine Altersfeststellung zu gewährleisten. Darüber hinaus werden Aussagen des Dolmetschers, der Ausländerbehörde und der Polizei berücksichtigt.

Eine medizinische Altersfeststellung wurde in begründeten Einzelfällen in der Vergangenheit durch einen Handwurzeltest durchgeführt. Diese findet nur in besonderen Ausnahmen statt, in der es mehrere Hinweise gibt, die auf eine Volljährigkeit hindeuten. Dabei muss berücksichtigt werden, dass laut Aussage des Deutschen Medizinertages 2010 „die Methode der Knochenaltersbestimmung zur Bestimmung des Lebensalters ungeeignet (ist). ... Die Altersbestimmung per Röntgenaufnahme des Handskeletts ist in ihren Ergebnissen so
unsicher, dass sie als Methode generell abzulehnen ist. Sie bedeutet darüber hinaus eine Strahlenbelastung des wachsenden Organismus, die medizinisch nicht zu rechtfertigen ist." Der Fachbereich ist daher nicht verpflichtet, ein medizinisches Gutachten einzuholen.

Die Erfahrung zeigt, dass bei mangelnder Plausibilität und dem Verdacht, dass der Betroffene wesentlich älter ist, dieser die Einrichtung von sich aus ohne Absprache verlässt, wenn weitere Untersuchungen angekündigt werden.

In der Regel gilt, dass der Schutz der Jugendlichen Vorrang hat vor gefühlten Zweifeln einzelner Mitarbeiter. Die Altersfeststellung muss in den ersten drei Tagen erfolgen, weil spätestens dann ein Vormund beim Familiengericht bestellt werden muss. Sollte das Familiengericht Zweifel an den Angaben haben, hat dieses in eigener Zuständigkeit das Recht, die Angaben im Rahmen einer Augenscheinprüfung und Befragung des Jugendlichen nochmals zu überprüfen. In Einzelfällen wurde vom Familiengericht bei Flüchtlingen, die trotz anderer Angaben von einer Bundesbehörde für volljährig erklärt wurden, angeordnet, einen Handwurzeltest durchzuführen. Dieses geschieht dann mit Zustimmung der Betroffenen.

Zukünftig wird im Rahmen der gesetzlichen Änderung (Gesetz zur Sicherstellung der kindgerechten Versorgung, Betreuung und Unterstützung von unbegleiteten, ausländischen Minderjährigen) ein Clearingverfahren durchgeführt, in dem nicht nur der entsprechende Jugendhilfebedarf ermittelt wird, sondern auch die Plausibilität der Altersangaben. Die Kath. Jugendhilfe Don Bosco in Osnabrück wird voraussichtlich noch im August 2015 eine Clearingstelle für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge einrichten.

 

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Anfrage | Kinder, Jugend, Familie | Migration, Integration

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