Baugebote - Wie kann aus bestehendem Baurecht echter Wohnraum entstehen?

Anfrage Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

30.04.19 –

Sachverhalt:

 

Nach Schätzungen der Verwaltung könnten auf rund 1.500 Baugrundstücken, für die bereits Baurecht besteht, mehr als 3.000 bis 3.500 neue Wohneinheiten entstehen.

Der Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer hat alle Grundstücksbesitzer*innen in seiner Stadt kontaktiert und sie angesichts der Wohnungslage gebeten, die Baugrundstücke zu aktivieren und entsprechende Wohnprojekte zu realisieren. Dabei hat er auf das geltende Recht hingewiesen. Demnach bestehe grundsätzlich ein Baugebot nach dem innerhalb einer angemessenen Frist eine Bebauung stattfinden müsse, es sei denn dem stünden begründbare Interessen gegen. Damit wird seitens der Stadt Tübingen zugleich auf eine mögliche Durchsetzung des Baugebots hingewiesen.

Der Deutsche Städtetag hat nach Presseberichten die Position Palmers unterstützt und fordert sogar eine Gesetzesänderung, um Baugebote zukünftig einfacher durchsetzen zu können. „Das Baurecht kennt mit dem Baugebot ein weiteres Instrument, damit Grundstücke bebaut werden“, sagte Städtetag-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy … (und weiter:) „Es wäre erheblich leichter, könnten die Städte Baugebote gleich für ein bestimmtes Gebiet festlegen, wenn dort Wohnraummangel besteht,“ www.wallstreet- online.de/nachricht/11379859-boris-palmer-staedte-verschaerfung-baugebots; auch www.tagblatt.de/Nachrichten/Baugebot-durchsetzen-Staedtetag-stuetzt-Palmer- 411601.html

Mit der Kontaktstelle Wohnen hat die Verwaltung bereits ein Beratungsangebot eingerichtet, dass sich ausdrücklich auch an die Grundstückbesitzer*innen richtet, um aus Bauland reale Wohnprojekte zu machen. Von dem Instrument des Baugebots wurde bislang nicht Gebrauch gemacht.

Wir fragen die Verwaltung:

1. Kann die Verwaltung abschätzen, für wie viele der bislang nicht genutzten Baugrundstücke ggf. ein Baugebot gilt?

2. Wie wird das Beratungsangebot von dieser Zielgruppe bislang angenommen?

3. Wie könnte ein Baugebot durchgesetzt werden und wie bewertet die Verwaltung in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des Deutschen Städtetages?

 

Der Inhalt der Vorlage unterstützt folgende/s strategische/n Stadtziel/e:

Sozial- und umweltgerechte Stadtentwicklung (Ziel 2016 - 2020)

Sachverhalt:

Die Verwaltung beantwortet die Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wie folgt:

1. Kann die Verwaltung abschätzen, für wie viele der bislang nicht genutzten Baugrundstücke ggf. ein Baugebot gilt?

Ein Baugebot nach § 176 BauGB gilt nicht automatisch, sondern muss für jedes betreffende Grundstück einzeln erlassen werden. In der Vergangenheit ist dies in der Stadt Osnabrück nicht erfolgt, da die Hürden und der Aufwand für eine Umsetzung sehr hoch sind (siehe Erläuterungen zu 3.). Eine generelle Bauverpflichtung für unbebaute Grundstücke, wie verschiedene Presseartikel glauben machen, besteht nicht.

2. Wie wird das Beratungsangebot von dieser Zielgruppe bislang angenommen?

Sofern ein Baugebot erlassen werden soll, ist mit den betreffenden Eigentümern im Vorfeld ein Erörterungsgespräch zu führen. Da Baugebote bisher nicht erlassen wurden, wurden entsprechende Gespräche bisher nicht geführt. Die bestehenden Beratungsangebote zur Mobilisierung von Wohnraum sind mit der o.g. rechtlich zwingenden Erörterung eines beabsichtigten Baugebotes nicht zu verwechseln und können ein solches nicht ersetzten.

Zu den Aufgaben der Kontaktstelle Wohnraum gehört u. a. die Beratung von Eigentümern, die in der Regel bereits erste Überlegungen zu einer Bebauung ihres Grundstücks angestellt haben oder das Thema nach längerer Zeit wieder aufgreifen wollen.

Grundsätzlich zeichnet sich dabei die Erfahrung ab, dass eine noch direktere Kontaktaufnahme mit den Grundstückseigentümern erforderlich ist. Dazu sind – außer in den Bürgerforen – auch Angebote in den Stadtteilen, Anschreiben spezieller Zielgruppen und Einbeziehung weiterer Multiplikatoren etc. vorgesehen. Die erste Vorort-Sprechstunde ist beispielsweise im Voxtrup am 08.05.2019 geplant. Hierbei könnte jegliche Art von „Zwangsmaßnahmen“ (wie Baugebote oder auch Zweckentfremdungsverordnungen) potentielle Interessenten eher abschrecken und dazu führen, dass das unverbindliche Gespräch in der Beratungsstelle vermieden wird, um nicht in den Fokus der Kommune zu geraten und zu etwas verpflichtet zu werden. Den größten Anteil von rechtlich bebaubaren Flächen in Osnabrück machen Grundstücksteile aus, deren andere Hälfte bereits mit einem Wohnhaus genutzt werden, nicht selten vom Eigentümerhaushalt selbst bewohnt (s. Baulandkataster), hier mit der Androhung von Baugeboten zu agieren wäre vermutlich kontraproduktiv.

3. Wie könnte ein Baugebot durchgesetzt werden und wie bewertet die Verwaltung in diesem Zusammenhang die Stellungnahme des Deutschen Städtetages?

Der Erlass eines Baugebotes muss nach aktuell geltendem Recht für jedes betreffende Grundstück einzeln erfolgen und setzt den Nachweis einer städtebaulichen Notwendigkeit voraus. Mit den betreffenden Eigentümern ist im Vorfeld der geplante Erlass einer Bauverpflichtung zu erörtern (individuelles Anhörungsgespräch). Anschließend ist dem betreffenden Eigentümer ein angemessener Zeitraum zur Bebauung seines Grundstücks einzuräumen (Bebauung hat gem. Vorgaben eines rechtsverbindlichen Bebauungsplanes oder nach § 34 BauGB zu erfolgen). Sofern ein Eigentümer zur Umsetzung wirtschaftlich nicht in der Lage ist, hat die Stadt von einem Baugebot abzusehen. Anderenfalls kann der Eigentümer die Übernahme des Grundstücks durch die Kommune verlangen. Diese muss dann das Grundstück erwerben und den Bau selbst realisieren.

Die dargelegten Anforderungen stellen für die Kommune hohe Hürden dar. Zunächst ist die zwingende Notwendigkeit eines Baugebotes für jedes einzelne Grundstück aus städtebaulichen Gründen erforderlich (geplanter Eingriff in Eigentumsrechte). Die Frage der wirtschaftlichen Zumutung für den Eigentümer kann im Vorfeld nicht pauschal beantwortet werden. Die Übernahme (ggf. Enteignung) durch die Kommune lässt im Zweifelsfall langwierige juristische Auseinandersetzungen erwarten. Zudem ist das Vorhalten finanzieller und personeller Mittel für Erwerb und Bebauung der betreffenden Grundstücke durch die Stadt erforderlich.

Die Schaffung einer nennenswerten Anzahl von Wohneinheiten ist vor dem Hintergrund der oben stehenden Erläuterungen mit extrem hohem Aufwand verbunden. Die Erfolgsaussichten können hingegen nicht eingeschätzt werden. Ob sich hieran etwas ändern ließe mit einem neuen „Satzungsrecht, das […] der Bund im Baugesetzbuch festlegen sollte“ (lt. Quelle: Schwäbisches Tagblatt, s. Anfrage VO/2019/3818), um Baugebote ggf. gleich für ein bestimmtes Gebiet zu beschließen, ist ebenso wenig zu beurteilen, im Übrigen spekulativ, weil rechtlich noch nicht geprüft.

Interessant könnte in diesem Zusammenhang eher noch die aktuelle Reform der Grundsteuer sein. Bis zum 31.12.2019 muss eine Neuregelung geschaffen werden. In den bisherigen Verlautbarungen hierzu findet sich u. a. eine mögliche Wiedereinführung der Grundsteuer C für unbebaute Grundstücke. Hieraus könnten für Flächen, für die bereits Planungsrecht besteht, die aber noch nicht bebaut sind, in Zukunft stärkere finanzielle Verpflichtungen entstehen, die ggf. den Überlegungsprozess des einen oder anderen Eigentümers beeinflussen könnten.

gez. Schürings

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Antrag | Stadtentwicklung | Wohnen

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