Sind Kiesgärten Grünflächen?

Anfrage Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

30.04.19 –

Sachverhalt:

Die naturschutzpolitische Debatte wird aktuell in hohem Maße von der Sorge um das hohe Ausmaß des Insektensterbens geprägt. So zeigt eine aktuelle Studie, dass die Biomasse an Fluginsekten in Schutzgebieten Nordwestdeutschlands in den vergangenen 27 Jahren um über 75 Prozent zurückgegangen ist (https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809). Das Verschwinden der Insekten hat wegen der Funktionen vieler Arten bei der Bestäubung als auch in Nahrungsketten unmittelbare Folgen für das menschliche Leben. Artenschutz ist grundsätzlich eine wichtige Aufgabe. Die Stadt Osnabrück engagiert sich daher besonders auch für die Biodiversität. Überregionale Bekanntheit haben u.a. das Osnabrücker Bienenbündnis und die Wildblumenmischung, die von diesem verteilt werden.

In dicht besiedelten Gebieten ist die Entwässerung von Niederschlägen aufgrund des hohen Versiegelungsgrades eine große technische und organisatorische Herausforderung, die mit erheblichen Kosten für die Stadt verbunden ist. Bedingt durch die Klimakrisen nimmt die Häufigkeit extremer Niederschläge zu. Unversiegelten Flächen, die Niederschlagswasser aufnehmen und speichern können, kommen im Stadtgebiet daher eine besondere Bedeutung zu.

Kies-, Schotter oder Steingärten heizen sich zudem stärker auf, was negative Folgen für das Stadtklima hat.

Zunehmend lässt sich auch in Osnabrück ein Modetrend der Gestaltung privater Freiflächen beobachten. Die Verwendung von Steinen aller Art wird offensichtlich immer beliebter. Die Kritik an den geschilderten möglichen negativen Effekten aber auch. So zuletzt in der Berichterstattung der NOZ vom 08.04.2019 oder in den Sozialen Medien, wo man z.B. eine Facebook-Seite zum Thema „Gärten des Grauens“ findet.

In der für Osnabrück maßgeblichen Landesbauordnung (NBauO) heißt es allerdings in §9 (2): „Die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke müssen Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind“.

Wir fragen die Verwaltung:

1. Wie bewertet die Verwaltung Kies-, Schotter oder Steingärten hinsichtlich ihrer Funktionen für den Artenschutz, das Stadtklima und die Entwässerung und gibt es auf städtischen Flächen bzw. Flächen der Töchtergesellschaften solche Anlagen?

2. Wie stellt sich die Rechtslage dar?

• Also, ist die Anlage eines Kies-, Schotter oder Steingartens mit der NBauO, insbesondere mit § 9 (2) vereinbar?

• Werden Kies-, Schotter oder Steingärten gemäß §§ 4 und 12 (4) der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung (AAS) der Stadt Osnabrück bei der Berechnung der Entwässerungsgebühren gemäß ihrer tatsächlichen Funktion berücksichtigt?

3. Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltung, auf Grundstücksbesitzer*innen und - nutzer*innen einzuwirken, auf Gestaltungen zu verzichten, die negative Folgen für den Artenschutz, das Stadtklima und die Entwässerung haben?

Der Inhalt der Vorlage unterstützt folgende/s strategische/n Stadtziel/e:

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Ziel 2016 - 2020)

Sachverhalt:

Die Verwaltung wird um die Beantwortung folgender Fragen gebeten:

1. Wie bewertet die Verwaltung Kies-, Schotter oder Steingärten hinsichtlich ihrer Funktionen für den Artenschutz, das Stadtklima und die Entwässerung und gibt es auf städtischen Flächen bzw. Flächen der Töchtergesellschaften solche Anlagen?

Antwort der Verwaltung:

a. Artenschutz

Haus- und Vorgärten im Bereich von Siedlungen können einen maßgeblichen Anteil am Erhalt der Biodiversität und der Bodenfunktionen haben und zu einer intakten und vernetzten Siedlungslandschaft beitragen.

Strukturreiche Gärten sind für sich oder im Verbund mit Nachbargrundstücken Lebensraum für zahlreiche Arten vor allem der Gruppen der Insekten, Vögel und Fledermäuse. Sie bieten Nahrungs- und Lebensraum, sind Fortpflanzungs- und Ruhestätte oder Trittstein auf Wanderungen. Je nach Art werden Gartenflächen ganzjährig oder auch nur als Sommer- oder Winterlebensraum genutzt. Den höchsten Nutzen haben naturnah gestaltete Gärten mit heimischen Pflanzenarten, aber auch nicht heimische Pflanzenarten können Beiträge zum Erhalt dieser Artenvielfalt beitragen.

Diese bedeutenden Funktionen im urban geprägten Naturhaushalt sind in „geschotterten Gärten“ erheblich eingeschränkt bis nicht mehr gegeben:

• Üblicherweise werden unter den Steinen (Schotter, Kies, Splitt) Gewebe oder Folien zur Vermeidung von „Unkraut“ ausgelegt, die eine ökologische Barriere darstellen.

• Das Gewicht der aufgebrachten Materialien stört das Bodengefüge und die Bodenbelüftung, was unter Umständen einer Versiegelung nahekommt.

• In der Regel sind „geschotterte Gärten“ nur spärlich bis gar nicht bepflanzt, wobei dann meist nicht heimische Zier- und Formgehölze oder nicht heimische Gräser verwendet werden.

Eine solche Art der Gartengestaltung hat keinen ökologischen Nutzen. Für die überwiegende Zahl der Arten fehlt es an Nahrung, Rückzugsräumen sowie Brut- und Ruhestätten.

Eine Studie der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (ROTHENBÜHLER 2017) fasst als negative Auswirkungen zusammen, dass diese Art der gärtnerischen Gestaltung u. a.

• keine ökologische Qualität hat und

• zur Versiegelung und Verarmung des Bodens sowie

• zur Reduktion der Biodiversität im Siedlungsraum beiträgt.

Literatur ROTHENBÜHLER, E. (2017): Schottergärten und Landschaft: Dynamik, Akteure, Instrumente. Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (Hrsg.). Bern.

b. Stadtklima

Steinerne Vorgärten heizen sich ähnlich wie vollversiegelte Flächen an warmen Tagen stark auf und geben die tagsüber gespeicherte Wärme zum Abend wieder ab. Im Vergleich zu begrünten Flächen ist also nicht nur die Abkühlungsleistung deutlich geringer, vielmehr wird der Wärmeinseleffekt weiter verstärkt. Daher sind steinerne Gärten aus stadtklimatischer Sicht kritisch zu bewerten.

c. Entwässerung / Grundwasser

Grundsätzlich ist auf Grund der vergleichsweise geringen Oberfläche, fehlendem kapillarem Aufstieg und fehlender Transpiration unter natürlichen Kiesflächen gegenüber einem Grüngarten eine höhere Grundwasserneubildung zu erwarten.

Da in der Praxis jedoch bei angelegten Kiesbeeten unter einer nur geringmächtigen Kiesschicht ein Unkrautflies eingebaut wird, welches im Laufe der Zeit durch eingeschwemmtes Feinkorn an Durchlässigkeit verliert, kann es zu einer Erhöhung der Evaporation und somit einer Reduktion der Grundwasserneubildung kommen.

Ein konkreter Vergleich ist somit ohne Feldversuche nicht möglich.

Zum Thema Entwässerung s. Beantwortung der Frage 2, 2. Spiegelstrich

d. Anlagen auf städtischen Flächen bzw. Flächen der Töchtergesellschaften

Nach Auskunft des Osnabrücker ServiceBetriebes gibt es im Bereich städtischer Freiflächen keine derartigen Anlagen. Die über die Osnabrücker Beteiligungsgesellschaft angefragten städtischen Tochterunternehmen WFO, OPG, FMO, Zoo, OsnabrückHalle, Volkshochschule und Klinikum meldeten ebenfalls Fehlanzeige. Die Antwort der SWO AG konnte von dort aufgrund der Vielzahl der Immobilien nicht rechtzeitig bearbeitet werden. Die Angaben werden zu Protokoll gegeben.

2. Wie stellt sich die Rechtslage dar?

• Also, ist die Anlage eines Kies-, Schotter oder Steingartens mit der NBauO, insbesondere mit § 9 (2) vereinbar?

Antwort der Verwaltung:

In der Kommentierung zur Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) wird zu § 9 Abs. 2 NBauO folgendes ausgeführt:

„Abs. 2 überlässt es […] grundsätzlich dem Belieben des Verpflichteten, welcher Art und Beschaffenheit die Grünflächen sind. Die Freiflächen können mit Rasen oder Gras, Gehölzen, anderen Zier- oder Nutzpflanzen bedeckt sein, wenn sie nur überhaupt begrünt sind. Plattenbeläge, Pflasterungen u. dgl. wird man allenfalls dann zu Grünflächen rechnen dürfen, wenn sie eine verhältnismäßig schmale Einfassung von Beeten o.ä. darstellen. Nach Abs. 2 dürfen demnach Vorgärten nicht mehr nur aus Gründen der Gestaltung oder der leichteren Pflege überwiegend aus Steinflächen bestehen.“ (Rdn. 12 zu § 9 NBauO)

Aus bauordnungsrechtlicher Sicht wären demnach Kies- oder Schottergärten nicht rechtmäßig, da sie nach der Definition keine Grünflächen darstellen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine nachbarschützende Vorschrift.

Des Weiteren scheidet nach Einschätzung der Verwaltung ein Einschreiten nach § 79 NBauO im Regelfall aufgrund einer Unverhältnismäßigkeit aus. Es greift hier das sog. „Übermaßverbot“, welches im Rahmen der Auslegung des § 79 NBauO beachtet werden muss. So haben sich in der Vergangenheit auch andere Gemeinden und Städte bei der Auslegung des Paragrafen entschieden. Daher gibt es hierzu bisher, auch nach eingehender Recherche, keine hier bekannten Urteile.

Anmerkung: Sollte entgegen der Einschätzung ein Einschreiten dennoch als erforderlich, geeignet und angemessen beurteilt werden, dann greift der Gleichheitssatz. Demnach verpflichtet der Gleichbehandlungsgrundsatz die Behörde zu einem nach Zeitpunkt und Modalitäten gleichmäßigem Vorgehen gegen rechtswidrige Zustände, soweit nicht in der Sache begründete Unterschiede Abweichungen rechtfertigen. D.h. es müsste dann gegen alle gleich gearteten Fälle vorgegangen werden.

• Werden Kies-, Schotter oder Steingärten gemäß §§ 4 und 12 (4) der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung (AAS) der Stadt Osnabrück bei der Berechnung der Entwässerungsgebühren gemäß ihrer tatsächlichen Funktion berücksichtigt?

Antwort der Verwaltung:

Derartige Kiesflächen werden nicht als versiegelte Flächen im Sinne der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung behandelt.

3. Welche Möglichkeiten sieht die Verwaltung, auf Grundstücksbesitzer*innen und - nutzer*innen einzuwirken, auf Gestaltungen zu verzichten, die negative Folgen für den Artenschutz, das Stadtklima und die Entwässerung haben?

Antwort der Verwaltung:

Da aus Sicht der Verwaltung ein Einschreiten gem. §79 NBauO eher ausgeschlossen erscheint, sollte der Fehlentwicklung durch die vermehrte Anlage von Kies- oder Schottergärten besser präventiv durch mehr Information beispielsweise im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren begegnet werden.

Darüber hinaus bietet es sich im Rahmen der Neuaufstellung von Bebauungsplänen an, entsprechende Festsetzungen zu treffen, die Anlage von Schotter- und Kiesgärten ausschließen oder zumindest begrenzen.

gez. Gerdts

Medien

Kategorie

Anfrage | Natur und Umwelt | Stadtentwicklung | Wohnen

GRÜNE Ratspost

Newsletter abonnieren:

Anmeldung Newsletter

Anmeldung Newsletter

GRUENE.DE News

<![CDATA[Neues]]>